Arzthaftung - Teil 16 - Aufklärungszeitpunkt, besonderes Aufklärungsbedürfnis

4.6.1 Zeitpunkt der Aufklärung

Die Aufklärung hat grundsätzlich vor der durchzuführenden Behandlung zu erfolgen und zwar in einem solchen zeitlichen Rahmen, dass dem Patienten ausreichend Zeit bleibt, die Vor- und Nachteile des Eingriffs abzuwägen. Etwas anderes kann nur in Notfällen gelten, hier muss in einigen Fällen (wenn der Patient aufgrund von Bewusstlosigkeit etc. nict mehr einwilligungsfähig ist) von der vorherigen Einwilligung abgesehen werden. Der Arzt muss die Behandlung dann so durchführen, dass er nach vernünftigem Denken davon ausgehen darf, dass der Patient eingewilligt hätte (sog. hypothetische Einwilligung).
Der Zeitrahmen, den der Patient zum Überdenken des Eingriffs haben sollte, ist abhängig von Art und Umfang der Behandlung.
Beispiele für den richtigen Aufklärungszeitpunkt

  • Bei einer Routineimpfung reicht regelmäßig die Aufklärung unmittelbar vor dem Eingriff (BGH NJW 2000, 1784).
  • Die Aufklärung vor dem Operationssaal ist ungenügend, wenn der Eingriff unmittelbar bevorsteht und der Patient befürchten muss, sich der Situation nicht aus eigenem Willen entziehen zu können (BGH NJW 2003, 2012).

Entscheidend kommt es hier darauf an, dass der Patient nicht in eine Nötigungssituation gerät, wobei ausreicht, dass er diese subjektiv so empfindet. Er soll selbstständig und von den behandelnden Ärzten dabei beratend unterstützt entscheiden, ob und zu welcher Behandlung er sich entschließt.

4.6.2 Besonderes Aufklärungsbedürfnis

Besondere Anforderungen sind an die Aufklärung bei der Wahl von Neulandmethoden, Außenseitermethoden oder Heilversuchen zu stellen. Eine Ein Heilversuch bzw. Neulandmethode bezeichnet dabei eine neue, klinisch noch nicht hinreichend erprobte Methode (Gehrlein, Grundwissen Arzthaftung, S. 44). Als Außenseitermethode bezeichnet man die Abweichung von Standardmethoden im Rahmen der medizinischen Behandlung wegen Besonderheiten des Einzelfalls oder ernsthafter Kritik an der Standardmethode (s.o.). Die Anwendung solcher Methoden ist dem Arzt im Rahmen seiner Therapiewahl freigestellt, der Patient muss allerdings über die Risiken und Erfolgsaussichten der im Zweifel riskanteren Therapie aufgeklärt werden. Allein die Anwendung der vom Standard abweichenden Methoden stellt also keinen Behandlungsfehler dar. Allerdings kann sich ein Behandlungsfehler daraus ergeben, dass keine sorgfältige Abwägung zwischen dem zu erwartenden Erfolg und dem absehbaren Risiko stattgefunden hat, oder wenn die angewandte Methode mit solchen Risiken einhergeht, dass sie in keinem Verhältnis zum Wohl des Patienten steht. Diese Abwägung hat über die Dauer der gesamten medizinischen Behandlung zu erfolgen. Über neue Erkenntnisse, die sich währenddessen ergeben, ist der Patient aufzuklären.

Beispiel für eine fehlerhafte Aufklärung
Patient X leidet an einer schweren Augenerkrankung. Im Rahmen der Standardmethoden gilt er als austherapiert. Der behandelnde Arzt schlägt eine Neulandmethode mit einem zulassungspflichtigen, aber noch nicht zugelassenen Medikament vor. Diese Therapie wird dann auch durchgeführt, währenddessen wird das Medikament zugelassen mit dem Hinweis, dass es als Nebenwirkung zu Sehschädigungen kommen kann und regelmäßige Kontrollen deshalb unumgänglich sind. Der Art versäumt die Aufklärung und auch die Anordnung der regelmäßigen Kontrolluntersuchungen. Er behandelt X weiter mit dem Medikament, der daraufhin erblindet.

  • Die Pflichtverletzung des Arztes liegt hier zum einen schon in der mangelnden Aufklärung des X. Durch die Zulassung des Medikamentes musste dem Arzt bekannt sein, zu welchen Nebenwirkungen es durch das Medikament kommen kann. Die Kenntnis darüber zu bekommen, obliegt dem Arzt. Über diese Nebenwirkungen hätte er den X informieren müssen, sowie über die Anordnung der Kontrolltermine.
  • Ein Behandlungsfehler wegen der Wahl der Methode kommt hier nur dann in Betracht, wenn sich die Verhältnismäßigkeit von dieser konkreten Behandlung und der fortschreitenden Grunderkrankung des Patienten durch die Zulassung und der damit bekannt gewordenen Risiken wesentlich verändert hätten.
  • Der Arzt haftet in einem solchen Fall also mindestens für seine Aufklärungsfehler, was allerdings trotzdem einen kausalen Schaden voraussetzt. Wäre der Patient durch seine Grunderkrankung ebenfalls in ähnlicher Zeit erblindet, kann dem Arzt aufgrund der Erblindung kein Vorwurf gemacht werden, er haftet dann nicht für den Schaden des Patienten.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arzthaftung - Nachweis und Durchsetzung von Ansprüchen bei ärztlichen Behandlungsfehlern“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Magdalena Mahrenholtz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-86-1.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.


Über die Autoren:

Michael Kaiser, Rechtsanwalt

Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser berät und vertritt seit vielen Jahren Patienten, Ärzte und Gesundheitsorganisationen bei Rechtsfragen um Arztrecht/Medizinrecht.
Er vertritt Krankenversicherungsnehmer bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen gegen Krankenkassen. Insbesondere die Übernahme der Kosten für neue, vielversprechende, aber noch nicht anerkannte Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen liegt ihm am Herzen.
Er vertritt Patienten und Ärzte bei Arzthaftungsfällen. Er vertritt Ärzte beim Streit um die Vergütung bei Kassen- oder Privatpatienten und bearbeitet berufs- und standesrechtliche Fragestellungen, z.B. die Grenzen zulässiger Werbung, patent- und markenrechtliche Probleme oder Regressansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung.
Michael Kaiser begleitet Ärzte bei der Gründung und Auseinandersetzung von Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sowie bei der Praxisnachfolge.

Rechtsanwalt Michael Kaiser hat veröffentlicht:

  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Arzthaftung: Die Haftung des Arztes für Behandlungsfehler
  • Die Ärztegesellschaft: Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft
  • Arzthonorar und Kassenärztliche Vereinigung: Abrechnung und Regress
  • Vergütungsansprüche von Ärzten und Therapeuten

Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Michael Kaiser unter:  
Mail: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0721-20396-28

 

 

 


Mehr Beiträge zum Thema finden Sie unter:

RechtsinfosArztrecht