Arbeitsrechtliche Abmahnung – Teil 39 – Relevante Pflichtverstöße IX

10.47 Schweigepflicht, Verletzung der…

Auch ohne besondere entsprechende Vereinbarungen muss der Arbeitnehmer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wahren (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.693.). Zudem kann sich eine Schweigepflicht auch aus einer besonderen Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb ergeben. In jedem Fall muss ein Arbeitnehmer jedoch nicht über alle Tatsachen, die mit seinem Arbeitsverhältnis zusammenhängen schweigen. Eine Schweigepflicht besteht nur dort, wo berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder des Betriebs betroffen sind (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.693.).
Verletzt der Arbeitnehmer eine solche bestehende Schweigepflicht, so muss deshalb in der Regel zunächst eine Abmahnung ausgesprochen werden. In besonders schwere Fällen, etwa wenn ein Arbeitnehmer in besonders vertraulicher Stellung (z.B. Aufsichtsrat) ganz bewusst gehandelt hat und so den Betriebsfrieden und den Ruf des Unternehmens gefährdet, kann jedoch die Abmahnung u.U. auch entbehrlich sein, sodass eine sofortige Kündigung möglich ist (BAG 04.04.1974 - 2 AZR 452/73 = AP BGB § 626 Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Nr.1; Beckerle, Die Abmahnung, S.84.).

10.48 Sexuelle Belästigung

Sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Ob sich der Handelnde vorsätzlich so verhalten hat, ist unerheblich. Es genügt, dass die Beeinträchtigung beim Opfer tatsächlich eingetreten ist und der Handelnde objektiv dafür verantwortlich ist. Nicht nötig ist außerdem, dass die betroffene Person ihre Ablehnung aktiv (z.B. verbales "Nein") deutlich gemacht hat. Entscheidend ist, dass der Handelnden objektiv erkennen konnte, dass sein Verhalten unerwünscht war (BAG 09.06.2011 - 2 AZR 323/10 = AP BGB § 626 Nr.236.).
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stellte eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten da. Jedoch gilt im Fall der sexuellen Belästigung eine Besonderheit: Während der Arbeitgeber über andere Verstöße freiwillig "hinwegsehen" und sie schweigend hinnehmen kann, ist er bei einer sexuellen Belästigung verpflichtet, zu handeln. Dies ergibt sich aus § 12 Abs.3 AGG. Er muss diejenige Maßnahme wählen, die am besten geeignet ist, die Belästigung abzustellen (BAG 09.06.2011 - 2 AZR 323/10 = AP BGB § 626 Nr. 236.). In Frage kommt dabei beispielsweise eine Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder auch Kündigung (Beckerle, Die Abmahnung, S.85.).
Welche Maßnahme geeignet ist und somit ergriffen werden muss, hängt immer von der Schwere der Belästigung ab. Bei sexueller Belästigung von lediglich geringer Intensität ist zunächst eine erfolglose Abmahnung notwendig, bevor im Wiederholungsfall eine Kündigung ergehen kann. Liegt hingegen eine sexuelle Belästigung von erheblichem Gewicht vor, so kann die Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich sein. Beispielswiese bei sexuellen Handgreiflichkeiten und anzüglichen Bemerkungen ist eine Kündigung auch ohne vorausgegangene Abmahnung gerechtfertigt (BAG 09.01.1986 - 2 ARB 24/85 - AP BGB § 626 BGB Ausschlussfrist Nr.20; Beckerle, Die Abmahnung, S.85.).

Beispiel
Arbeitnehmer N erzählt während der Arbeitszeit gerne anzügliche Witze, insbesondere über Frauen, um seine Kollegen zu amüsieren. Seine Kollegin K fühlt sich davon sexuelle belästigt und meldet das Verhalten des N dem Arbeitgeber G. G fragt sich, was zu tun ist.

  • G muss N eine Abmahnung erteilen. Es liegt eine sexuelle Belästigung vor durch die anzüglichen Witze, auf diese G verpflichtet ist zu reagieren (gem. § 12 Abs.3 AGG). Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine sexuelle Belästigung von geringerer Intensität, da N die K nicht persönlich angegriffen hat, sondern die Witze in der Runde seiner Kollegen zum Besten gegeben hat. Es ist anzunehmen, dass N dies nach einer Abmahnung auch unterlassen wird. Eine Abmahnung scheint das geeignete Mittel, um die Belästigungen in Zukunft zu unterbinden. Dieses muss G nun ergreifen.

Beispiel
Arbeitnehmer N führt die Aufsicht über eine Gruppe Mitarbeiter, darunter auch seine Kollegin K. Als die beiden alleine sind, macht N zunächst anzügliche Bemerkungen über die Kleidung der K. Im weiteren Verlauf bedrängt er K und berührt sie - obwohl K sich zur Wehr setzt - mehrfach auf sexuelle Art und Weise. K meldet den Vorfall dem Arbeitgeber G. G ist entsetzt und fragt sich, ob der N entlassen kann oder ob zunächst eine Abmahnung nötig ist.

  • Eine Abmahnung ist hier nicht erforderlich. Sexuelle Handgreiflichkeiten und anzügliche Bemerkungen berechtigen zur Kündigung ohne Abmahnung. G ist gem. § 12 Abs.3 AGG verpflichtet zu handeln. Aufgrund der massiven Schwere der sexuellen Belästigung erscheint die Kündigung als das geeignete Mittel.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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  • Abwicklungsverträge
  • Kündigungen
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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
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