Arbeitsrechtliche Abmahnung – Teil 35 – Relevante Pflichtverstöße V

10.27 Fehlen, unberechtigtes

Bleibt der Arbeitnehmer unberechtigt der Arbeit fern, kann zunächst eine Abmahnung erforderlich sein. Es muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob der Verstoß so schwerwiegend ist, dass eine negative Verhaltensprognose auch schon ohne Abmahnung gestellt werden kann. In diesem Fall ist keine Abmahnung notwendig.

Beispiel
Arbeitnehmer N ist seit 16 Jahren bei seinem Arbeitgeber G angestellt und hat sich in all den Jahren nichts zu Schulden kommen lassen. Eines Tages erscheint er ungerechtfertigt erst eine Stunde nach Schichtbeginn an seinem Arbeitsplatz. G frag sich, ob er N zunächst abmahnen muss.

  • G muss N zunächst abmahnen, bevor er eine Kündigung aussprechen kann. Zwar hat N durch das unberechtigte Fehlen die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht, sodass ein Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten vorliegt. Allerdings ist dieser nicht so gravierend, dass weitere Verletzungen auch noch nach einer Abmahnung zu erwarten wären. Dafür spricht zum einen die relativ kurze Dauer des unberechtigten Fehlens (eine Stunde), zum anderen auch die lange Zeit, in der N sich zuvor jahrelang vertragstreu verhalten hat. Eine negative Zukunftsprognose kann daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht gestellt werden. G muss N gegenüber zunächst eine Abmahnung erteilen.

Beispiel
Arbeitnehmer N ist seit zwei Jahren im Betrieb seines Arbeitgebers G beschäftigt. N fühlt sich insgesamt jedoch erschöpft und bleibt eines Tages der Arbeit fern, um sich einen - aus seiner Sicht - wohl verdienten Erholungsurlaub zu gönnen. Insgesamt erscheint er zwei Wochen am Stück nicht an seinem Arbeitsplatz. Als er schließlich zurückkehrt, fragt sich G, ob er N nun zunächst abmahnen muss, oder ob er sogleich die Kündigung aussprechen kann.

  • Eine Abmahnung ist vorliegend entbehrlich. N ist ganze zwei Wochen unberechtigt der Arbeit ferngeblieben. Diese Pflichtverletzung wiegt so schwer und lässt auch derartig grundlegend an der Zuverlässigkeit des N zweifeln, dass die negative Zukunftsprognose bereits jetzt gestellt werden kann. Eine Abmahnung ist hier nicht notwendig vor der Kündigung.

10.28 Freiheitsstrafe/Untersuchungshaft

Wird ein Arbeitnehmer inhaftiert, so kann darin ein Grund für eine Kündigung liegen (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1632.). Allerdings ist nicht automatisch jede haftbedingte Arbeitsunfähigkeit ein Kündigungsgrund.
Ob und auf welche Art und Weise (ordentlich oder außerordentlich) dem inhaftierten Arbeitgeber gekündigt werden kann hängt nach heutiger Rechtsprechung des BAG nicht mehr alleine davon ab, wie lange er inhaftiert und damit arbeitsunfähig sein wird. Entscheidend ist heute stattdessen, welche wirtschaftlichen und betrieblichen Auswirkungen das Fehlen des Inhaftierten für das Unternehmen hat (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.606.).
In jedem Fall ist jedoch eine Abmahnung vor der Kündigung entbehrlich, da der Arbeitnehmer an seiner Inhaftierung selbst nichts ändern kann.

10.29 Genesungswidriges Verhalten

Ist ein Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig, muss er sich so verhalten, dass er sobald wie möglich wieder gesund wird und seine Arbeit wiederaufnehmen kann. Daher hat er alles zu unterlassen, was geeignet ist, seine Genesung zu verzögern. Verletzt ein Arbeitnehmer diese (Neben-) Pflicht, so ist grundsätzlich zunächst eine Abmahnung auszusprechen, bevor eine Kündigung möglich ist (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 = AP BGB § 626 Krankheit Nr.14 = NZA-RR 2006, 636.). Handelt es sich jedoch um eine besonders gravierende Pflichtverletzung, so kann eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich sein. Beispielswiese hat das BAG einen Fall entsprechend entschieden, in dem ein Arbeitnehmer während einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit einer Nebenerwerbstätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber nachging, die den Heilungsprozess verzögerte (BAG 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 = AP BGB § 626 Nr.112 = NZA 1994, 63; LAG Hamm 13.05.2015 - 1 Sa 1534/14.), oder in den Skiurlaub gefahren war (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 = AP BGB § 626 Krankheit Nr.14 = NZA-RR 2006, 636.).

10.30 Gewerkschaftliche Werbung

Tritt ein Arbeitnehmer werbend für eine Gewerkschaft auf, so kann dies in der Regel nur dann Grund für eine Abmahnung sein, wenn durch diese Tätigkeit der Betriebsablauf oder der Betriebsfrieden gestört wird. In diesem Fällen liegt eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, auf die mit einer Abmahnung reagiert werden kann (Beckerle, Die Abmahnung, S.56.).

10.31 Kirchenlehre, abweichende

Für bei der Kirche angestellte Arbeitnehmer kann ein Abweichen von der Kirchenlehre (z.B. Werben für andere Glaubensgemeinschaften) eine (außerordentliche) Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen, da die arbeitsvertraglich geschuldete Loyalität zur Kirche nicht mehr gewährleistet ist (BAG 21.02.2001 - 2 AZR 139/00 = AP BGB § 611 Kirchendienst Nr.29; Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1583.).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.


Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

  • Aufhebungsverträge
  • Abwicklungsverträge
  • Kündigungen
  • Kündigungsschutzansprüche
  • Abfindungen
  • Lohn- und Gehaltsansprüche
  • Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
  • Betriebsvereinbarungen
  • Tantiemenvereinbarungen

und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
  • Minijobs rechtssicher gestalten

Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter:  
Mail: schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0711-896601-24

 


Mehr Beiträge zum Thema finden Sie unter:

RechtsinfosArbeitsrecht