Freistellung im Arbeitsrecht – Teil 19 – Abwehraussperrung

10.2.2.1.1 Abwehraussperrung

Sobald der Arbeitgeber auf einem zuvor begonnenen Streik mit einer Aussperrung reagiert, spricht man von einer Abwehraussperrung. Hierbei versucht der Arbeitgeber, den Druck auf die streikteilnehmenden Arbeitnehmer zu erhöhen, den betreffenden Streik zu beenden. Zulässig ist eine Abwehraussperrung dann, sofern sie sicherstellen soll, dass der Kampfrahmen ausgeweitet und das finanzielle Risiko infolgedessen zu verschieben. Hierbei soll der arbeitswillige Arbeitnehmer sowohl an der Ausübung seiner Arbeitsleistung und zugleich an die Beanspruchung seines Vergütungsanspruches gehindert werden.

10.2.2.1.2 Angriffsaussperrung

Nimmt der Arbeitgeber eine Angriffsaussperrung vor, reagiert er nicht auf eine durch die Arbeitnehmer geschaffene Streiksituation, sondern eröffnet selbst den Arbeitskampf im Tarifgebiet. Allerdings ist diese Form der Aussperrung noch nicht wirklich seitens der Gerichte behandelt worden, da Uneinigkeit dahingehend besteht, ob diese Art der Aussperrung überhaupt als zulässiges Arbeitskampfmittel angesehen werden kann. Durch die Angriffsaussperrung kann entweder auf das Erreichen eines neuen Tarifvertrages oder auf den Versuch, eine gewerkschaftliche Forderung abzuwenden, gerichtet sein.

10.2.2.3 Heiße Aussperrung

Bei der heißen Aussperrung werden die (auch leistungswilligen) Arbeitnehmer vorrübergehend von ihrer Pflicht zur Leistungserbringung ausgeschlossen. Die Vergütungsverpflichtung entfällt hierbei. Die Tarifparteien müssen sich hierbei aber gleichberechtigt gegenüberstehen.

10.2.2.1.4 Kalte Aussperrung

Wenn Gewerkschaften beispielsweise bei Zuliefererbetrieben Schwerpunktstreiks organisieren, folgt daraus, dass in den Unternehmen, die für die Weiterverarbeitung zuständig sind, die Produktion begrenzt oder völlig zum Stilstand gebracht wird.

Auf diese Situation kann dann der betroffene Arbeitgeber wie folgt.:

  • Es wird die Kurzarbeit eingeführt
  • Der Betrieb wird mit suspendierender Wirkung stillgelegt

Begründet wird die kalte Aussperrung damit, dass nicht mehr weitergearbeitet werden kann. Die Arbeitnehmer verlieren hierbei ihren Vergütungsanspruch und erhalten auch keine Beträge aus der Streikkasse. Sollten die Arbeitnehmer, wenn auch nur über eine kurze Dauer, in den Genuss vom Streik beabsichtigten Konsequenz kommen, haben sie ebenso keinen Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld.

10.2.3 Folgen der Aussperrung

Liegt eine rechtswidrige Aussperrung vor, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Kündigung oder aber, er bietet seine Leistungserbringung in Form der Arbeitskraft an. Der Arbeitgeber wird durch die Nichtannahme seiner Leistungsbereitschaft durch den Arbeitnehmer in Verzug gesetzt. Hierdurch wird die Vergütungspflicht abgesichert.

Bei der rechtmäßigen Aussperrung kann es zu folgenden Ergebnissen kommen:

  • Die Arbeit wird eingestellt
  • Die Arbeitnehmer werden von der Beschäftigung ausgeschlossen
  • Die Vergütungspflicht der Löhne und Gehälter entfällt
  • Das Arbeitsverhältnis wird nicht in Form einer Kündigung aufgelöst, sondern ruht lediglich während der Arbeitskampfmaßnahme
  • Der Anspruch der Arbeitnehmer auf Beschäftigung beginnt ab dem Moment, in welchem die Aussperrung oder der Streik als beendet erklärt werden

Hinweis bei Erkrankungen während des Aussperrung:

  • Wird während einer rechtmäßigen Aussperrung ein Arbeitnehmer krank, so erhält er keine Lohnfortzahlung nach § 3 EFZG durch den Arbeitgeber, sondern muss sich Krankengeld über seinen Sozialversicherungsträger auszahlen lassen. Seine Abwesenheit ist nicht für den Ausfall der Vergütung ursächlich, sondern die Arbeitskampfmaßnahme.

10.2.3.1.1 Die suspendierende Wirkung

Bei einer suspendierenden Aussperrung lehnt der Arbeitgeber es ab, die Beschäftigung und Gehaltszahlung gegenüber den streikenden Arbeitnehmern weiter vorzunehmen (Fußnote). Allerdings kommt es zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Damit die suspendierende Wirkung der Aussperrung auch eintreten kann, muss der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer vorab und in unmissverständlicher Form (rechtssicher wäre ein gegenseitig unterzeichnetes Ankündigungsschreiben) diese Arbeitskampfmaßnahme mitteilen.
Zu unterscheiden sind im Rahmen der suspendierenden Aussperrung die sogenannten Angriffs- und Abwehraussperrungen.

10.2.3.1.2 Die (auf)lösende Wirkung

Bei einer lösenden Aussperrung "kündigt" quasi der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer während des Streikes. Allerdings besteht nach Kampfbeendigung grundsätzlich eine Verpflichtung zur Wiedereinstellung der Arbeitnehmer.

Das Bundesarbeitsgericht hat aber festgestellt, dass es in den Ausnahmefällen, wo Streiks als rechtswidrig eingestuft werden, die lösenden Aussperrungen rechtmäßig sind. Wenn die lösende Aussperrung als rechtmäßig angesehen wird, gilt diese jedoch nicht gegenüber folgenden Arbeitnehmergruppen (Fußnote):

  • Schwerbehinderte
  • Frauen im Mutterschutz
  • betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger.

Diese ausgenommenen Arbeitnehmer genießen den besonderen Kündigungsschutz, weshalb ihnen gegenüber lediglich Aussperrungen mit suspendierender Wirkung vorgenommen werden dürfen.

10.2.4 Auswirkungen auf die Sozialversicherung

Die Aussperrung führt zur vorrübergehenden Suspendierung der Arbeitnehmer, was nicht nur Auswirkungen auf die Vergütung, sondern auch auf das Sozialversicherungsrecht hat. Ob es sich um einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen Arbeitskampf handelt, hat auf die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung keinen Einfluss. Denn unabhängig davon ruht sowohl das Arbeitslosengeld I während der Aussperrung, als auch die Einzahlungspflicht der Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung, wodurch auch keine Versicherungszeiten gezählt werden. Auch für die gesetzliche Unfallversicherung, die der Arbeitgeber bedient, ruht während dieser Zeit.

Bei der Kranken- und Pflegeversicherung ist allerdings die Unterscheidung von rechtswidriger und rechtmäßiger Aussperrung entscheidend. Bei einem rechtmäßigen Arbeitskampf bleibt die Mitgliedschaft für den gesamten Zeitraum des Arbeitskampfs bestehen. Bei einem rechtswidrigen Arbeitskampf ist der Arbeitnehmer für die Dauer von längstens für einen Monat weiterhin bei beiden Trägern versichert.


Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Die gesetzlichen Freistellungsansprüche im Arbeitsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-019-9.


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

  • Aufhebungsverträge
  • Abwicklungsverträge
  • Kündigungen
  • Kündigungsschutzansprüche
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  • Lohn- und Gehaltsansprüche
  • Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
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