Europäisches Erbrecht – Teil 04 – Anwendungsbereich

5. Anwendungsbereich

Damit festgestellt werden kann, ob die EuErbVO überhaupt einschlägig ist, muss generell geklärt werden, auf welche Fälle sie angewendet werden kann. Man unterscheidet zwischen dem sachlichen, räumlichen und dem zeitlichen Anwendungsbereich, die im Folgenden näher erläutert werden.

5.1 Sachlicher Anwendungsbereich

5.1.1 Generelles

Der sachliche Anwendungsbereich legt fest, auf welche Sachverhalte, also gewissermaßen in welchen Situationen die Verordnung angewendet wird. Meist lässt sich dies dem (Verordnungs-)Text selbst entnehmen. Der sachliche Anwendungsbereich der EuErbVO ist in Art. 1 EuErbVO geregelt. Demnach wird die EuErbVO immer dann angewendet, wenn es sich um eine Rechtsnachfolge von Todes wegen handelt. Es muss also zunächst herausgefunden werden was eine Rechtsnachfolge von Todes wegen im rechtlichen Sinne ist. Um dies zu ermitteln, lohnt es sich in Art. 3 I a EuErbVO nachzusehen, wo eine Definition vorgegeben ist.

Eine „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ ist demnach jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge.

Eine Verfügung von Todes wegen wiederrum meint das Testament, das gemeinschaftliche Testament und den Erbvertrag. Dies umfasst den gesamten Nachlass, da eine Nachlassspaltung vermieden werden soll (dies ergibt sich zum Beispiel aus Erwägungsgrund 37 auf S. 5 der EuErbVO).

Ausdrücklich nicht erfasst von der sachlichen Geltung sind einige in Art.1 EuErbVO aufgeführten Fälle, die es nicht zu übersehen gilt. Generell gesehen handelt es sich bei diesen Bereichen, um solche, die zwar mit Erbsachen in Zusammenhang stehen, aber nicht unmittelbar die Rechtsnachfolge von Todes wegen betreffen. Diese werden deshalb vom jeweiligen nationalen Recht geregelt:

    • Fragen des öffentlichen Rechts. Also beispielsweise (Erbschafts-) Steuer- und Zollsachen oder verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.
    • Fragen über Familienverhältnisse: Abstammung, Adoption, Gültigkeit und Bestand von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften.
    • Fragen über die Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen, die zum Beispiel bei Minderjährigen nur beschränkt vorliegt. Damit verbunden ist das Vertretungsrecht der Geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten, das auch dem innerstaatlichen Recht unterliegt.

Ausnahme: in den Anwendungsbereich der EuErbVO fällt aber gem. Art. 23 I c) EuErbVO die Erbfähigkeit, also die Fähigkeit, Erbe zu werden, die nach dem deutschen Recht nur natürliche oder juristische Personen haben können.

    • Die rechtliche Beurteilung darüber, ob jemand verschollen ist.
    • Güterrechtliche Fragestellungen, falls ein Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner verstirbt. Auch ausgeschlossen sind Eheverträge, solange sie keinen erbrechtlichen Inhalt haben. Zu beachten ist hier, dass das Ehegüterrecht durch eine eigene EU-Verordnung vereinheitlicht wurde, die am 29.01.2019 in Kraft getreten ist.
    • Das Unterhaltsrecht (außer solchen Unterhaltsansprüchen, die gerade durch den Todesfall entstanden sind).
    • Formgültigkeit von mündlichen Testamenten. Ob ein mündliches Testament (dazu zählen auch Testamente per Videoaufzeichnung oder Audioaufzeichnung) die gesetzlich vorgeschriebene Form einhält, bestimmt sich also nicht nach dem nach Art. 21 oder Art. 22 EuErbVO, sondern nach dem Haager Testamentsformübereinkommen von 1961.
    • Schenkungen unter Lebenden werden selbst nicht von der EuErbVO erfasst, allerdings können sie Folgen im Erbrecht auslösen, die von der Verordnung erfasst werden. Vorsicht ist aber bei Schenkungsversprechen auf den Todesfall geboten. Diese sind Versprechen von Zuwendungen, die erst nach dem Todesfall vollzogen werden sollen. Beispielsweise könnte eine Formulierung lauten: „Ich schenke dir mein Fahrrad, nach meinem Tod kannst du es dir aus dem Schuppen nehmen“. Ein solches Versprechen ist als Verfügung von Todes wegen einzuordnen und fällt deshalb in den Regelungsbereich der Verordnung.
    • Fragestellungen, die das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrechts oder juristische Personen betreffen. Auch nicht erfasst sind Fragen rund um die Nachfolge in das Gesellschaftsvermögen bei deren Untergang.
    • Auch nicht von der EuErbVO erfasst wird werden alle Fragestellungen in Bezug auf Trusts, da diese der Brüssel Ia-VO unterliegen.

5.2 Räumlicher Anwendungsbereich

5.2.1 Generelles

Die EuErbVO gilt für alle Erbfälle in den Mitgliedstaaten der EU, mit Ausnahme des Vereinigten Königreiches (für welches die Geltung der EuErbVO nach dem EU-Austritt sowieso beendet wäre), Irland und Dänemark (Siehe Erwägungsgrund 82 auf S. 10 der EuErbVO).

5.2.2 Erbfälle mit Auslandsbezug zu Irland, Großbritannien und Dänemark

Es muss überlegt werden, welches Recht bei Erbfällen mit Bezug zu EU-Staaten gilt, für die die EuErbVO generell keine Wirkung entfaltet und ob sie hier trotzdem angewendet werden kann. Die EuErbVO ist ein Dokument, das aufgrund des Konsenses der teilnehmenden Staaten entstanden ist. Im Völkerrecht existiert das Prinzip von der souveränen Gleichheit der Staaten, demnach alle Staaten gleich sind und kein Staat einen anderen ohne dessen Zustimmung zu einem Handeln oder Unterlassen zwingen kann. Das bedeutet, dass auch Verträge oder andere Rechtsquellen, die bilateral durch zwei Staaten zustande gekommen sind, nicht einfach für dritte Staaten gelten, wenn diese nicht Vertragspartei geworden sind. In Art. 20 EuErbVO ist allerdings die universelle Anwendung der Verordnung geregelt. Aus dieser so genannten „Öffnungsklausel“ geht hervor, dass die Verordnung aus Sicht der teilnehmenden Staaten weltweit anwendbar ist. Bei einem Erbfall mit Auslandsbezug zu Irland wird die Verordnung aus Deutscher Sicht also trotzdem angewendet. Natürlich haben allerdings auch hier bilaterale Übereinkünfte über das Kollisionsrecht Vorrang. Das heißt, dass die EuErbVO für Irland und Dänemark keine Geltung entfaltet, obwohl sie EU- Mitgliedsstaaten sind. Für Großbritannien galt dasselbe, jedoch handelt es sich seit dem Brexit bei Großbritannien nicht mehr um einen EU-Mitgliedstaat, so dass die EuErbVO sich schon deswegen gar nicht auf Großbritannien erstrecken könnte.


Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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