Europäisches Erbrecht – Teil 02 – Vereinheitlichung

1.1 Vereinheitlichung durch EuErbVO

Art. 21 EuErbVO legt fest, dass im Kollisionsfall das Erbrecht desjenigen Unionsstaates Anwendung findet, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Todeseintritts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das in der BRD zuvor gegoltene Staatsangehörigkeitsprinzip findet also keine Anwendung mehr. Außerdem regelt Abs. 2, dass, abweichend von Abs. 1, auch das Erbrecht eines anderen Staates angewendet werden kann, falls der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich viel engere Verbindung zu diesem anderen Staat hatte. Denkbar wäre dies beispielsweise, falls ein spanischer Staatsangehöriger wegen eines Arbeitsplatzwechsels erst vor kurzem in die BRD gekommen ist und dann verunglückt.
Die beiden Möglichkeiten des Art. 21 EuErbVO bieten dem Betroffenen die Chance, das anzuwendende Recht, z.B. durch einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes, mit zu beeinflussen. Allerdings birgt dies auch die Problematik, dass sich das anwendbare Erbrecht mit einem Wohnortswechsel eben automatisch ändert, was unerwünschte Folgen nach sich ziehen kann, da die EU-Staaten den Nachlass beispielsweise unterschiedlich hoch besteuern oder der Pflichtteilsanspruch nicht überall gleichermaßen besteht. Um einer solchen unerwünschten Bindung an ein bestimmtes Erbrecht vorzubeugen, bleibt dem Erblasser neben dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltsortes schließlich noch das Erstellen einer Verfügung von Todes wegen, also entweder eines Testaments, eines gemeinschaftlichen Testaments oder eines Erbvertrages, in dem er das Erbrecht seiner Staatsangehörigkeit wählen kann. Falls er dies nicht tut, findet Art. 21 EuErbVO Anwendung.

1.2 Übersicht

Die EuErbVO klärt insbesondere die folgenden Punkte bei Erbfall:

  • Falls ein Erbfall mit Auslandsbezug vorliegt: welches nationale Erbrecht wird angewendet?
  • Was ist ein europäisches Nachlasszeugnis?
  • Die Gerichte welchen Staates sind für den Erbfall zuständig (z.B. für die Ausstellung eines europäischen Nachlasszeugnisses)?

Dadurch sollen folgende Ziele beim Erbfall erreicht werden:

  • Vereinfachung der Nachlassplanung.
  • Schnellere Abwicklung/Durchsetzung des Nachlasses und der Ansprüche aus diesem auf nationaler und internationaler Ebene.
  • Vereinheitlichung des Kollisionsrechts in den EU-Mitgliedstaaten.

2. Rechtsquellen

2.1 Generelles

Zunächst sollten die erbrechtlichen Bestimmungen auf nationaler Ebene ermittelt werden. Dazu gilt es zu überprüfen, ob überhaupt eine Kollision zwischen zwei nationalen Rechtsordnungen besteht und falls dies der Fall sein sollte, zwischen welchen nationalen Erbrechtsquellen die Kollision besteht.
Im deutschen Recht sind die relevanten Regelungen im 5. Buch des BGB, in den §§ 1922 ff. BGB, zu finden (Fußnote). Spezielle Normen sind auch in anderen Gesetzen zu finden, beispielsweise in § 22 HGB die Fortführung der Firma (Fußnote).
Auf internationaler Ebene finden sich die einschlägigen Normen zunächst in der EuErbVO. Allerdings legt Art. 75 I EuErbVO (sog. Öffnungsklausel) fest, dass bilaterale Abkommen der EU-Mitgliedstaaten mit Drittstaaten bestehen bleiben und vorrangig berücksichtigt werden, wodurch gewährleistet wird, dass die EU- Mitgliedstaaten ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten im Stande sind (Vorrang vor der EuErbVO hat daher beispielsweise der deutsch-türkische Konsularvertrag aus dem Jahr 1929; einsehbar unter: Fußnote. Dies gilt aber nur, falls ein Staat an dem Abkommen beteiligt ist, der kein Mitglied der EU ist. Gegenüber Abkommen zwischen EU-Staaten untereinander hat die EuErbVO Vorrang, um deren Harmonisierungsziel nicht zu gefährden.

Beispiel:
Es sei unterstellt, dass ein Erbfall mit Bezügen zu Deutschland und Belgien vorliegt. Dabei ist der Erblasser deutscher Staatsangehöriger und lebt auch dauerhaft in Deutschland. Er ist allerdings auch Mieter einer Wohnung in Brüssel, die er für seine Arbeit benötigt. Auch die gesamte Einrichtung ist in seinem Eigentum, sowie ein belgisches Bankkonto, das auf seinen Namen läuft. Die Erben haben nun ein Interesse daran, herauszufinden, ob das belgische Erbrecht auf den Fall angewendet wird oder das deutsche, da die beiden Rechtsordnungen unter Umständen unterschiedliche Regelungen beinhalten und die Erben außerdem im richtigen Staat einen Erbschein beantragen müssen, falls ein solcher gebraucht wird.

  • Zunächst gilt es, herauszufinden, ob zwischen Deutschland und Belgien ein bilateraler Vertrag vorliegt, der vorzuziehen wäre. Dies ist nicht der Fall. Anschließend wird nach dem Kollisionsrecht der EuErbVO ermittelt, ob deutsches oder belgisches Recht zur Anwendung kommt. Unterstellt man, dass bei der Ermittlung das deutsche Recht den Vorrang erhalten hat, ist die Verteilung des Nachlasses etc. nach den §§ 1922 ff. BGB vorzunehmen.

Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.




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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

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Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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