Europäisches Erbrecht – Teil 01 – Kollisionsrecht

1. Einleitung

Immer mehr Unionsbürger arbeiten und leben in europäischen Nachbarstaaten und besitzen daher sowohl in ihrem Herkunftsstaat als auch in ihrer Wahlheimat Vermögen. Im Todesfall kann dies zu erheblichen Unklarheiten führen, was auch lange Zeit der Fall war. In Betracht kommen zwei denkbare Konstellationen, die häufig anzutreffen sind:

  • Ein deutscher Staatsangehöriger lebt dauerhaft im Ausland und verstirbt in seiner Wahlheimat oder in der BRD.
  • Im Nachlass eines deutschen Staatsangehörigen, der in der BRD lebte, findet sich Vermögen im Ausland (beispielsweise ein Konto und eine Immobilie in Frankreich).

Ist das Vermögen nämlich auf mehrere EU-Staaten verteilt, versucht jeder beteiligte Staat mithilfe seines eigenen internationalen Privatrechts (IPR) zu ermitteln, welches Erbstatut angewendet wird. Da die IPR-Regelungen aber EU-weit unterschiedlich sind, können sie auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. So war es, besonders für juristische Laien, nur sehr schwer zu überblicken welche Rechtsordnung in welchem Fall angewendet wird und ob Erblasser und Erbe dies vielleicht sogar beeinflussen können. Um dem entgegen zu wirken, gilt die europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) gem. Art. 84 EuErbVO seit dem 17. August 2015 für alle Erbfälle in den Mitgliedstaaten der EU, mit Ausnahme des Vereinigten Königreiches (für welches die Geltung der EuErbVO nach dem EU-Austritt sowieso beendet wäre), Irland und Dänemark (Fußnote).

Wenn beispielsweise ein spanischer Staatsangehöriger mit seiner Frau dauerhaft in Deutschland lebt und arbeitet und dann verstirbt, legt die Verordnung fest, ob spanisches oder deutsches Erbrecht Anwendung findet (was vorher das nationale IPR eines jeden Staates übernommen hatte). In der Verordnung finden sich allerdings keine Regeln zum materiellen Erbrecht, also beispielsweise zu der Frage, wie der Nachlass aufgeteilt wird.
Die EuErbVO bezieht sich also auf alle grenzüberschreitenden Erbfälle, bei denen erbrechtliche Regelungen aus unterschiedlichen EU-Staaten in Betracht kommen könnten. Angestrebt wird eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts, um der vor 2015 herrschenden „Rechtszersplitterung“ entgegenzuwirken und den Betroffenen eine größere Rechtssicherheit zu gewähren. Außerdem soll durch die Verordnung die Rechtsdurchsetzung auf europäischer Ebene erleichtert werden, weshalb beispielsweise das europäische Nachlasszeugnis eingeführt wurde, durch das Erben oder Nachlassverwalter unionsweit ihre rechtliche Stellung nachweisen können.
Der vorliegende Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die Entwicklung hin zur EuErbVO, um dann auf Neuerungen durch die EuErbVO einzugehen, welche vor allem aus einer praktischen Sichtweise betrachtet werden, um einen einfachen, aber sachkundigen Umgang mit dieser ermöglichen.

2. Entwicklung

2.1 Internationales Erbrecht als Kollisionsrecht

Traditionell betrachtet sind sowohl das materielle Erbrecht ein Teil der nationalen Rechtsordnung eines jeden Staates als auch das Kollisionsrecht. Da die Entstehungsgeschichten, sowie die politischen Systeme der Staaten teils stark variieren, gibt es auch im Erbrecht erhebliche Abweichungen voneinander. Beispielsweise kennt das deutsche materielle Erbrecht das Pflichtteilsrecht, welches in Großbritannien aber unbekannt ist. Im Kollisionsrecht folgen manche Staaten dem Prinzip der Nachlassspaltung, andere hingegen dem Prinzip der Nachlasseinheit. Betrachtet man internationale Erbfälle insgesamt, lassen sich drei Hauptprobleme feststellen, die immer wieder auftauchen und durch die EuErbVO gelöst werden sollten:

  • Unterschiedliche Bestimmung des Erbstatuts (das Recht welchen Staates ist im Erbfall anwendbar?): Die BRD knüpft beispielsweise an das Staatsangehörigkeitsprinzip an, die meisten anderen europäischen Staaten hingegen an das Aufenthaltsprinzip. (Vertiefung in Kapitel 6.1.)
  • Sog. forum shopping = taktische Einflussnahme auf das anzuwendende Erbrecht: in ausländischen Rechtsordnungen vorhandene Vorteile konnten ausgenutzt werden, indem diese vor dem Erbfall durch Wahl festgelegt wurden. Zum Beispiel existieren in den Unionsstaaten unterschiedliche Regeln darüber, welche Beweise vor Gericht zulässig sind. (Vertiefung in Kapitel 6.2.)
  • Nachlassspaltung: Im Falle einer Nachlassspaltung konnte es passieren, dass für die verschiedenen Teile des Nachlasses unterschiedliches Erbrecht angewendet wurde. Dieses konnte dann aber im Gegensatz zueinander stehen und im schlimmsten Fall dazu führen, dass verschiedene Personen als Erben angesehen wurden. (Vertiefung in Kapitel 6.2.2.). (Fußnote).

Es ist weitgehend unverständlich, dass die EU sich im Laufe der Jahre immer weiter fortentwickelt hat, EU-Recht ausgebaut und die nationalen Rechtsordnungen in vielen Bereichen angeglichen wurden, die meisten der wenigen Bemühungen, die in Bezug auf das Erbrecht überhaupt stattfanden, aber gescheitert sind. Vor allem, da mit Einführung des Binnenmarktes und der zunehmenden Globalisierung häufigere Umzüge ja gerade gefördert wurden, die zwangsläufig zu einem Anstieg von Erbfällen mit internationalem Bezug führen mussten. Die Folge der fehlenden Vereinheitlichung vor Einführung der EuErbVO war, dass die Nachlassplanung für den Erblasser erheblich erschwert wurde, sowie die spätere Durchsetzung der Rechte der Erben, wo die EuErbVO Abhilfe schaffen soll. Zunächst muss aber erläutert werden, weshalb die ROM IV Verordnung hier überhaupt eine EU-weit geltende Vereinheitlichung schaffen kann. Der Grund hierfür ist im Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht zu sehen. Für die Praxis bedeutet dies, dass immer wenn es eine Norm eines nationalen Gesetzes gibt, zum Beispiel eine Norm des materiellen deutschen Erbrechts aus dem BGB, und eine Norm des EU-Rechts den gleichen Sachverhalt regelt, die EU-Norm anzuwenden ist und die Norm des BGB nicht beachtet wird. Dies führt nun dazu, dass die Einführung von ROM IV EU-weit und so auch in der BRD direkt zu Änderungen führt, so als wäre die Verordnung vom deutschen Gesetzgeber erlassen worden.

Zunächst soll auf die aus deutscher Sicht größte Änderung eingegangen werden, welche der Wechsel vom Staatsangehörigkeitsprinzip hin zum Aufenthaltsprinzip ist. Vor Einführung der EuErbVO musste im Erbfall zunächst ermittelt werden, welches nationale Erbrecht Vorrang hat und angewendet werden kann. In der BRD galt das eben genannte Staatsangehörigkeitsprinzip, welches festlegte, dass das deutsche Erbrecht immer dann Anwendung fand, wenn eine Person verstarb, die die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Andere Staaten hingegen knüpften vor 2015 beispielsweise an den letzten Wohnort des Verstorbenen oder bei Immobilien an deren Standort an, was zu einiger Rechtsunklarheit führte. Es entstand also eine Kollision verschiedener erbrechtlicher Regelungen. An dieser Stelle soll die EuErbVO eine einfachere Struktur und unionsweit geltende Regeln schaffen, auf die weiter unten noch ausführlicher eingegangen wird.


Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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