Aufhebungsvertrag - Teil 29 - Rechtsfolgen unwirksamer Aufhebungsverträge

10. Rechtsfolgen unwirksamer Aufhebungsverträge

Ein Aufhebungsvertrag, dem ein Wirksamkeitshindernis entgegensteht (§§ 104, 105, 125, 134, 138 BGB) oder der durch Anfechtung von Anfang an nichtig wird (§ 142 I BGB), ist so zu behandeln, als hätte es ihn nie gegeben. Das bedeutet, dass er keine Rechtswirkungen entfaltet und somit das Arbeitsverhältnis auch nicht einvernehmlich beendet wurde. Der Arbeitnehmer kann verlangen, weiter beschäftigt zu werden. Er hat grundsätzlich Anspruch auf Lohnnachzahlung. Eine bereits gezahlte Abfindung ist zurückzuzahlen. Die Nichtigkeit ist einem Prozess von Amts wegen zu berücksichtigen. Das bedeutet, weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer müssen darauf hinweisen, sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern ist diese Nichtigkeit oft auch unbekannt.

11. Lösen vom Aufhebungsvertrag

Ein Aufhebungsvertrag, der wirksam zustande gekommen ist, entfaltet Rechtswirkungen und ist "in der Welt". Wenn eine der Vertragsparteien nach Vertragsschluss mit seinem Inhalt unzufrieden ist oder sich wünscht, ihn nie geschlossen zu haben, stellt sich die Frage, ob sie sich noch vom Aufhebungsvertrag lösen kann. Denkbar ist eine einvernehmliche Aufhebung des Aufhebungsvertrags oder eine Vertragsänderung per Änderungsvertrag. Dazu ist erforderlich, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich weiterhin einig sind. Ist dies nicht der Fall kommen folgende Möglichkeiten in Betracht, sich vom Vertrag zu lösen:

11.1 Rücktritt

Die Möglichkeit eines Rücktritts vom Vertrag setzt stets eine Rücktrittserklärung (§ 349 BGB) und einen Rücktrittsgrund voraus. Ein Rücktrittsrecht kann sich aus Vertrag oder Gesetz ergeben.

Ein Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung nicht durchsetzbar ist. Der Anspruch auf die Abfindung ist beispielsweise dann nicht durchsetzbar, wenn der Arbeitnehmer weiß, dass ein Insolvenzverfahren über das Vermögen seines Arbeitgebers beantragt wurde oder wenn der Arbeitgeber nach dem Eröffnungsantrag auf Grund der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht nach § 21 InsO die Abfindung nicht zahlen darf (BAG, Urteil vom 10. 11. 2011 − 6 AZR 357/10, NZA 2012, 205).

11.1.1 Rücktrittsrecht aus Aufhebungsvertrag

Denkbar ist, dass die Aufhebungsvertragsparteien im Aufhebungsvertrag ein Rücktrittsrecht vereinbart haben. Dann ist ein Rücktritt unter den dort festgelegten Voraussetzungen zulässig.

Eine entsprechende Klausel kann zum Beispiel so aussehen:

"Arbeitgeber und Arbeitnehmer stimmen darin überein, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund von …. zum …. beendet wird. Der Arbeitgeber verpflichtet sich die in Ziffer … vereinbarte Abfindung in Höhe von …. bis zum …. in voller Höhe an den Arbeitnehmer auszuzahlen. Für den Fall, dass die Abfindung nicht rechtzeitig und vollständig ausgezahlt wird, steht dem Arbeitnehmer ein Rücktrittsrecht zu. Nach dessen Ausübung besteht das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fort." (vgl. Kunz in B/K/B/N Praxis des Arbeitsrechts, 4. Auflage 2013, Kapitel 27 Rz.285)

11.1.2 Kollektivvertragliches Rücktrittsrecht

Möglicherweise besteht auch eine kollektivvertragliche Regelung in einer Betriebsvereinbarung oder in einem Tarifvertrag. Dann ist zu prüfen, ob sie Anwendung findet und ob ihre Voraussetzungen gegeben sind.

11.1.3 Gesetzliches Rücktrittsrecht

Wenn im Aufhebungsvertrag kein Rücktrittsrecht geregelt ist und auch keine kollektivvertragliche Regelung einschlägig ist, kommt ein gesetzliches Rücktrittsrecht in Betracht. Ein solches kann sich aus den §§ 323 f. BGB ergeben.

Beispiel (vgl. Ehrich in Weber/Ehrich/Burmester/Fröhlich, Handbuch der arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträge, 5. Auflage 2009, Teil 3 Rz. 75)

Arbeitgeber G und Arbeitnehmerin X schließen einen Aufhebungsvertrag. G verpflichtet sich darin, der X bis zum Ende des Kalenderjahres eine Abfindung in Höhe von 30.000,- Euro zu zahlen. Rücktrittsgründe vereinbaren die beiden nicht. Als X auch im neuen Jahr noch keine Abfindungszahlung von G erhalten hat, setzt sie ihm eine angemessene Frist zur Zahlung. G lässt die Frist verstreichen und zahlt nicht. X fragt sich, ob sie vom Aufhebungsvertrag zurücktreten kann.

    • X muss G den Rücktritt erklären, vgl. § 349 BGB.
    • Als Rücktrittsgrund kommt ein gesetzliches Rücktrittsrecht gem. § 323 I Alt. 1 BGB in Betracht: Schuldner G erbringt beim gegenseitigen Aufhebungsvertrag die fällige Leistung Abfindung nicht. Gläubigerin X hat eine angemessene Frist gesetzt, die erfolglos verstrichen ist.
    • Die Voraussetzungen des § 323 I Alt. 1 BGB liegen vor. G kann zurücktreten.
    • Mit dem Rücktritt wandelt sich der Aufhebungsvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis i.S.d. §§ 346 ff. BGB. G hat keinen Anspruch mehr auf die Abfindung (vgl. Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Auflage 2014, A 186).

Arbeitnehmer sollten Rat bei einem fachlich versierten Rechtsanwalt einholen, ehe sie vom Aufhebungsvertrag zurücktreten. Vor der Erklärung des Rücktritts und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag liegen die Voraussetzungen des Annahmeverzuges nicht vor, sodass für diese Zeit nach einem Rücktritt kein Anspruch auf Vergütungsnachzahlung besteht.

Ein Aufhebungsvertrag ist ein "gegenseitiger" Vertrag i.S.d. § 323 I Alt. 1 BGB, weil er einerseits die Verpflichtung zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses und andererseits die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung enthält (Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Auflage 2014, A 186).

Voraussetzung für ein Rücktrittsrecht nach § 323 I Alt. 1 BGB ist, dass der Anspruch auf die fällige Leistung noch durchsetzbar ist. Daran fehlt es, wenn der Arbeitgeber insolvent ist und der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Abfindung im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nur noch eine Insolvenzforderung ist.

Ein gesondertes Rücktrittsrecht speziell für Aufhebungsverträge gibt es nicht.

Die Nichtausstellung eines Zeugnisses durch den Arbeitgeber genügt nicht, um die Voraussetzungen des § 323 I Alt. 1 BGB zu erfüllen. Es handelt sich bei der Pflicht zur Zeugniserteilung aus §§ 630 4 BGB i.V.m. 109 I 1 GewO nicht um eine Hauptleistungspflicht.

Rechtsfolge eines wirksamen Rücktritts (vgl. § 218 BGB) ist die Rückabwicklung des Aufhebungsvertrags gem. der §§ 346 ff. BGB. Der Aufhebungsvertrag verliert seine Wirkung, sodass der Arbeitsvertrag wieder gilt. Das Arbeitsverhältnis besteht weiter fort.

Eine nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage gem. § 5 I 1 KSchG ist nur unter besonderen Umständen möglich.

Beispiel

Arbeitgeber F erklärt seinem Arbeitnehmer D am 1. Februar die ordentliche Kündigung. D empfindet die Kündigung als ungerechtfertigt. Er sucht das Gespräch mit F und am 13. Februar desselben Jahres einigen sie sich auf einen Aufhebungsvertrag. In diesem ist geregelt, dass F dem D sofort eine Abfindung zahlen soll. F zahlt nicht und lässt auch eine angemessene von D gesetzte Frist verstreichen. D tritt am 1. März gem. §§ 349, 323 I Alt. 1 BGB vom Aufhebungsvertrag zurück. Er fragt, ob er nun noch gerichtlich gegen die ordentliche Kündigung durch F vorgehen kann.

    • Eine Kündigungsschutzklage des F ist grundsätzlich unzulässig, weil er sie nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erheben kann, vgl. § 4 1 KSchG.
    • Gem. § 5 I 1 KSchG besteht unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit, die Klage nachträglich zuzulassen. Diese sind vorliegend nicht erfüllt. Die Klage wird nicht nachträglich zugelassen. Sie ist unzulässig (vgl. Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Auflage 2014, A 187).

Abwandlung

Der Fall entspricht dem Beispiel oben, aber Arbeitgeber F ist von der Insolvenz bedroht und weiß zum Abschluss des Aufhebungsvertrags, dass er die versprochene Abfindung nicht wird zahlen können.

    • Eine Kündigungsschutzklage des F ist grundsätzlich unzulässig, weil er sie nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erheben kann, vgl. § 4 1 KSchG.
    • Gem. § 5 I 1 KSchG besteht unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit, die Klage nachträglich zuzulassen. Die Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil F arglistig gehandelt hat. Er ist nicht schützenswert, weil er wissentlich und willentlich dafür gesorgt hat, dass D mit seiner Kündigungsschutzklage präkludiert wird, ohne eine Abfindung erhalten zu können (vgl. Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Auflage 2014, A 187). Die Kündigungsschutzklage des D wird nachträglich zugelassen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Der Aufhebungsvertrag – Die einvernehmliche Trennung im Arbeitsverhältnis“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Carolina Erb erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-939384-89-2.


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Stand: Januar 2019


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Monika Dibbelt, Rechtsanwältin

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Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
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Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

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