Erbrecht für Unternehmer - Teil 14 - Pflichtteilsrestanspruch

5.3.4. Pflichtteilsrestanspruch

Hauptanwendungsfall des Pflichtteilsrechts ist, dass ein potentieller Erbe enterbt wird. Daneben ist die Konstellation möglich, dass ein gesetzlicher Erbe nicht enterbt wird, sondern als testamentarischer Erbe eingesetzt wird und trotzdem pflichtteilsberechtigt wird.

Bleibt der durch Testament zugewendete Erbteil hinter dem Pflichtteilsanspruch zurück, dann kann der Erbe einen Pflichtteilsrestanspruch geltend machen, § 2305 BGB. Dieser ersetzt die Differenz, die zwischen dem zugewendeten Erbteil und dem Pflichtteilsanspruch besteht. Damit steht einem gesetzlichen Erbe, der als testamentarischer Erbe weniger erhalten hat, als er enthalten hätte, wenn er enterbt worden wäre, mindestens der Wert des Pflichtteilsanspruchs zu.[1]

Beispiel
Unternehmer U, alleinstehend, hinterlässt zwei Kinder S und T. Sein Vermögen umfasst ein Haus (Wert: 300.000 €) und einen Oldtimer (Wert: 80.000 €). Sein Testament lautet: "Hiermit vererbe ich meinem Sohn S meinen Oldtimer, T soll mein Haus erhalten."

  • Damit wird S zwar Erbe, sein Erbteil bleibt aber hinter dem Pflichtteilsanspruch zurück. Das Erbe umfasst einen Wert von insgesamt 380.000 €. Bei zwei Kindern würde jedes Kind nach dem gesetzlichen Erbrecht die Hälfte (vgl. § 1924 Abs.4 BGB) und damit je 190.000 € erhalten. Der Pflichtteilsanspruch umfasst die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, demnach 95.000 €. Da der Oldtimer nur einen Wert von 80.000 € hat, bleibt der Wert der tatsächlichen Erbschaft des S hinter dem Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils um 15.000 € zurück. S hat damit einen Zahlungsanspruch gegen T in Höhe der Differenz (vgl. § 2305 S. 1 BGB) von 15.000 €.

Im Einzelfall ist aber immer zunächst zu klären, was der Erblasser wollte - es ist also eine Auslegung erforderlich. Diese kann dazu führen, dass keine Erbeinsetzung, sondern ggf. eine Teilungsanordnung, ein Vermächtnis oder ein Vorausvermächtnis anzunehmen ist. Daher ist regelmäßig wichtig, sich bei der Erstellung eines Testaments professionell beraten zu lassen, wenn man seinen Nachlass klar regeln will.

5.3.5. Ausschlagung und Pflichtteil

Zu beachten ist, dass eine Ausschlagung einer Erbschaft grundsätzlich nicht zu einem Entstehen der Pflichtteilsansprüche führt. Bei der Ausschlagung einer Erbschaft verliert man die Erbschaft, gewinnt aber zugleich keinen Pflichtteilsanspruch.

Von diesem Grundsatz sieht § 2306 BGB eine Ausnahme vor. Danach hat ein Erbe, dessen Erbe

  • durch die Einsetzung eines Nacherben,
  • die Ernennung eines Testamentsvollstreckers,
  • die Anordnung einer Teilungsanordnung beschränkt,
  • ein Vermächtnis oder
  • eine Auflage beschwert ist

ein Wahlrecht:

  • Ist der Erbe mit dem Inhalt der Verfügung einverstanden, kann er Erbe entsprechend der Verfügung werden.
  • Ist dies jedoch nicht der Fall, kann er das Erbe ausschlagen und trotzdem den Pflichtteil beanspruchen.

Beispiel
Erblasser E hinterlässt eine Verfügung von Todes wegen, in der er seinen ältesten Sohn S als Erben einsetzt, mit dem Hinweis, dass er sich um seinen Hund kümmern müsse.

  • S kann das Erbe mit der Auflage annehmen oder ausschlagen und seinen Pflichtteil geltend machen.

5.3.6. Regelungen und Möglichkeiten rund um die Pflichtteilsansprüche

Besteht jahrelang kein Kontakt zu erbberechtigten Familienangehörigen oder herrscht sogar Streit in der Familie, kann die Tatsache, dass diesen Angehörigen im Fall des Ablebens trotzdem ein Teil des Vermögens in Form eines Geldanspruchs erhalten bleibt, zu Unbehagen beim Erblasser führen.

Das Pflichtteilsrecht steht aber nicht zur Disposition. Es ist zwingend und kann nicht vom Erblasser ausgeschlossen werden. Allerdings bestehen rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, um diese oft nicht gewollte Rechtsfolge in ihren wirtschaftlichen Folgen abzumildern und damit den Pflichtteilsanspruch der Höhe nach zu reduzieren. Hier ist eine rechtliche Beratung, gerade bei Vermögensübertragungen dringend geboten.

5.3.6.1. Schenkung und Pflichtteilsergänzungsansprüche

Damit der Erblasser nicht durch unentgeltliche Zuwendungen vor seinem Tod sein Vermögen mindert und damit die Pflichtteilsansprüche aushöhlt, existieren sog. Pflichtteilsergänzungsansprüche. Dabei ist jeder, der pflichtteilsberechtigt ist, auch pflichtteilsergänzungsberechtigt. Voraussetzung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist, dass der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall Schenkungen gemacht hat, die keiner sittlichen Pflicht oder Rücksichtnahme auf den Anstand entsprachen, §§ 2325, 2330 BGB. Schenkungen, die einer sittlichen Pflicht entsprechen, sind beispielsweise Geburtstagsgeschenke. Die verschenkten Gegenstände werden dann dem Nachlass hinzugerechnet. Je länger die Schenkung zurück liegt, desto weniger wird sie berücksichtigt.[2] Für jedes vollständig abgelaufene Jahr sind 10 % weniger des Schenkungswertes zu berücksichtigen. Sind zehn Jahre vergangen, wird folglich eine Schenkung nicht mehr berücksichtigt, § 2325 Abs.3 BGB. Der Anknüpfungspunkt für den Beginn der Zehn-Jahres-Frist ist jedoch nicht immer die Schenkung an sich. Grundsätzlich entscheidend ist, dass die Schenkung wirtschaftlich zu einem Vermögensverlust geführt hat. Die rein rechtliche Schenkung reicht nicht aus, damit die Frist in Gang gesetzt wird.

Zudem gilt die Beschränkung auf die letzten 10 Jahre nicht, wenn Geschwister untereinander Vorempfänge auszugleichen haben, sofern die Vorempfänge ausgleichspflichtig sind.

Beispiel
Erblasser E hat einem seiner Kinder 30 Jahre vor seinem Erbfall ein Grundstück geschenkt und angeordnet, dass dies auf sein Erbe anzurechnen ist.

  • Das Grundstück wird dann zum Erbe hinzugezählt, obwohl die Schenkung mehr als 10 Jahre zurückliegt.

Werden Schenkungen auf dieser Ebene bereits berücksichtigt, so müssen sie bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht noch einmal in die Berechnung eingestellt werden.

Schenkungen sind dabei alle freigiebigen Zuwendungen an eine dritte Person, welche dafür keine oder keine ausreichende Gegenleistung erbringt.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch wird folgendermaßen berechnet:

  • Zunächst muss der Nachlass ohne Berücksichtigung von etwaigen Schenkungen ermittelt werden.
  • Daraus ist dann der ordentliche Pflichtteil zu berechnen.
  • Dann werden sämtliche Schenkungen dem Nachlass hinzugerechnet und damit der fiktive Nachlass gebildet.
  • Aus diesem fiktiven Nachlass wird dann der Gesamtpflichtteil gebildet.
  • Dann wird die Differenz zwischen dem ordentlichen Pflichtteil und dem Gesamtpflichtteil berechnet und dadurch der Ergänzungspflichtteil bestimmt.[3]

Beispiel
Witwer E hinterlässt zwei Kinder. Seinen Sohn S enterbt er durch ein Testament. E verfügt über einen Oldtimer im Wert von 40.000 € im Zeitpunkt des Ablebens des E und um weiteres Vermögen in Höhe von 100.000 €. Zwei Jahre vor seinem Tod verschenkt er - ohne die Bestimmung, dass sich die Tochter diese Schenkung später anrechnen lassen muss - mit Ausnahme von seinem Oldtimer sein gesamtes restliches Vermögen an seine Tochter.

  • Da S gesetzlicher Erbe von E mit einer Erbquote von 1/2 wäre, jedoch enterbt wurde, beläuft sich sein Pflichtteil auf 1/4. Der Nachlass hat einen Wert von 40.000 €, damit erhält S einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 10.000 €.
  • Der fiktive Nachlass, also der Nachlass unter Berücksichtigung der Schenkungen, würde sich auf 40.000 € + 80.000 € = 120.000 € belaufen. Da die Schenkung des Vermögens in Höhe von 100.000 € zwei volle Jahre her ist, wird sie nur mit 8/10 berücksichtigt, also den genannten 80.000 €. Damit würde sich eigentlich ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 30.000 € ergeben (1/2 vom gesetzlichen Erbteil, berechnet nach dem fiktiven Nachlass von 120.000 €). Zieht man von diesen 30.000 € die 10.000 € des tatsächlichen Pflichtteilsanspruchs ab, erhält man den Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 20.000 €.


[1] Michalski, § 17 IV 2 Rn.534.

[2] Brox, § 32 Rn. 562; Michalski, § 17 IV 9 Rn. 570.

[3] Michalski, § 17 IV 9 Rn. 570.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Erbrecht für Unternehmer“ von Harald Brennecke, Rechtsanwalt, und Wolfgang Theissen, Rechtsanwalt, und Julia Külzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-94-6.


Kontakt: brennecke@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2019


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Über die Autoren:

Harald Brennecke, Rechtsanwalt

Portrait Harald-Brennecke

Harald Brennecke ist seit 1997 mit erbrechtlichen Mandaten befasst.
Als Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht berät er insbesondere bei der Gestaltung von Unternehmertestamenten, der Übertragung von Unternehmensanteilen und der Ausarbeitung von Unternehmererbverträgen im Hinblick auf die Sicherung der Unternehmensnachfolge. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät er Erben und potenzielle Erben bei überschuldetem Nachlass in Bezug auf Erbausschlagung, Dürftigkeitseinreden und der Beantragung und Begleitung bei Nachlassinsolvenzverfahren.
Er berät weiterhin bei der Erstellung von Testamenten und der Gestaltung von Vermögensübergängen, insbesondere aus erbschaftssteuerlicher Sicht und der Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften. Er berät bei Pflichtteilsansprüchen, Vermächtnissen sowie bei Fragen der Vorerbschaft und Nacherbschaft. Er begleitet Erben bei der Beantragung von Erbscheinen und der Abwicklung der Erbschaft.

Harald Brennecke hat im Erbrecht veröffentlicht:

  • "Erbrecht – Eine Einführung“ von Harald Brennecke und Dr. Maren Augustin, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-17-5
  • „Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen“, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8

Bereits 1999 war er Experte für Erbrecht in einer Serie von Live-Fernsehsendungen.
Rechtsanwalt Brennecke ist Dozent für Erbrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Erbrecht für Steuerberater – Grundlagen des Erbrechts als Basis erbschaftssteuerrechtlicher Beratung
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