Int. Vertragsrecht - Teil 22 - Versicherungsverträge I

6.3 Versicherungsverträge

Eine weitere Vertragskategorie, für die besondere Kollisionsnormen gelten, ist die der internationalen Versicherungsverträge. Geregelt sind diese in Art. 7 Rom I-VO. Zwar wurde das zuvor von zahlreichen EU-Richtlinien zersplitterte Versicherungsrecht in der Rom I-VO erstmals einheitlich geregelt. Leider wurde die Komplexität der Regelung nur unwesentlich verringert,[1] sodass die hiesige Darstellung nur einen groben Überblick geben kann und als Einführung in die Thematik verstanden werden sollte.

6.3.1 Grundsätzliches

Art. 7 Rom I-VO definiert für alle privatrechtlichen Versicherungsverträge mit Ausnahme von Rückversicherungsverträgen kollisionsrechtliche Regelungen, die von den allgemeinen Grundsätzen der Art. 3 und 4 Rom I-VO als auch den Regelungen für Verbraucherverträge iSd Art. 6 Rom I-VO vorgehen.

Im Rahmen des Art. 7 Rom I-VO wird zwischen drei unterschiedlichen Arten von Versicherungsverträgen unterschieden:

  • Verträge über Großrisiken (Abs. 2)
  • Verträge über Massenrisiken (Abs. 3)
  • Pflichtversicherungsverträge (Abs. 4).

Diese Unterscheidung ist wichtig, denn nach ihr bemisst sich welches Recht die Parteien für den Vertrag wählen können.

6.3.2 Anwendungsbereich

Zwar umfasst Art. 7 Rom I-VO grundsätzlich alle Versicherungsverträge. Allerdings zwei Einschränkungen, die beachtet werden müssen.

Dies sind zum einen die ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Art. 7 Rom I-VO ausgenommenen Rückversicherungsverträge, also die Übertragung von Risiken von einem Versicherungs- auf ein Rückversicherungsunternehmen. Liegt ein solcher zwischen den Parteien vor, so kommen die allgemeinen Regeln des Art. 3 Rom I-VO bzgl. der Rechtswahl bzw. des Art. 4 Rom I-VO bei mangelnder Rechtswahl zum Tragen. Da es sich bei der Rückversicherung um eine Dienstleistung handelt, ist in letzterem Fall gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Rückversicherers auf den Vertrag anzuwenden.

Die zweite Einschränkung ergibt sich hinsichtlich Verträgen über Massenrisiken. Der Anwendungsbereich des Art. 7 Rom I-VO ist nur eröffnet, wenn das gedeckte Risiko in einem Mitgliedsstaat der Rom I-VO belegen ist. Andernfalls gelten für den Vertrag die allgemeinen Vorschriften der Art. 3, 4 und 6 Rom I-VO. Für Großrisiken ist es hingegen irrelevant, in welchem Land das Risiko belegen ist.

6.3.3 Großrisiken

Versicherungsverträge über Großrisiken werden in Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO geregelt. Unter Großrisiken sind die Versicherungsformen gemeint, die in Art. 5 lit. d der EG-Direktversicherungsrichtlinie von 24.07.1973 aufgeführt werden, namentlich:

Bestimmte Versicherungszweige:

  • Schien- und Luftfahrzeugkasko
  • See-, Binnen- und Flussschifffahrtkasko
  • Transportgüterversicherung
  • Luftfahrzeughaftung
  • See-, Binnensee- und Flussschifffahrtshaftpflicht

Kredit- und Kautionsversicherungen, die im Zusammenhang mit einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit stehen

Bestimmte Schadensversicherungen von Unternehmen, die min. zwei der folgenden drei Merkmale besitzen:

  • Bilanzsumme: min. 6,2 Mio. EUR
  • Nettoumsatz: min. 12,8 Mio. EUR
  • Beschäftigtenzahl im Verlauf des Wirtschaftsjahres: min. 250.

Die Parteien können bei Versicherungsverträgen über Großrisiken das auf den Vertrag anzuwendende Recht frei nach den allgemeinen Regeln des Art. 3 Rom I-VO bestimmen. Haben die Parteien keine Rechtswahl getroffen oder ist diese unwirksam, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Versicherer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gibt es jedoch eine engere Verbindung zu dem Recht eines anderen Staates, so genießt dieses Recht Vorrang.

Beispiel
Ein niederländischer Rheinschiffer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Rotterdam schließt mit der Allianz AG mit Hauptsitz in München einen Vertrag über eine Flussschifffahrtsversicherung ab. Welches Recht ist bei mangelnder Rechtswahl auf den Vertrag anzuwenden?

  • Das versicherte Risiko fällt unter die in der EG-Richtlinie definierten Großrisiken, sodass die Regelungen des Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO zur Anwendung kommen. Danach ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Versicherer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da dies München ist kommt folglich deutsches Recht zur Anwendung.

[1] Leible/Lehmann RIW 2008, 538.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

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Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

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