Arzthaftung - Teil 27 - Prozesskostenhilfe, Sachverhaltsaufklärung

6.5 Prozesskostenhilfe

Grundsätzlich steht im Zivilprozess gem. § 114 ZPO einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten für den Prozess nicht eigenmächtig aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu. Voraussetzungen dafür sind die hinreichende Erfolgsaussicht des Prozesses und keine Mutwilligkeit in der Prozessführung. Mutwilligkeit bedeutet dabei, dass eine finanziell gut gestellte Partei ihre Rechte bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände nicht in dieser Weise verfolgen und durchsetzen würde (Fußnote). Sinn der Prozesskostenhilfe ist es, jedem, der glaubhaft machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein, ein faires Verfahren vor den deutschen Gerichten zu ermöglichen. Die hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung meint keine ganzheitliche Vorüberprüfung der vorgetragenen Tatsachen, sondern die Würdigung ihrer Vertretbarkeit und ob in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung gerechtfertigt ist. Es muss demnach schon ausreichen, wenn aus dem Vortrag der bedürftigen Partei klar wird, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich ist (Fußnote). Die Anforderungen an die Partei sind nicht zu streng zu stellen, das Gericht muss dem Antragenden aber mitteilen, welche Tatsachen er glaubhaft zu machen hat, um Prozesskostenhilfe zu bekommen.
Im Arzthaftungsprozess stellen sich häufiger Probleme im Rahmen der Frage nach der Mutwilligkeit und ob diese bejaht werden muss, wenn die antragstellende Partei vor Einleitung des Prozesses keine Gutachterkommission oder Schlichtungsstelle angerufen hat. Die herrschende Rechtsprechung lehnt allerdings eine grundsätzliche Versagung der Prozesskostenhilfe im Arztrecht ab (Fußnote). Mutwilligkeit wird aber in manchen Fällen bejaht, wenn eine Entscheidung eines bereits eingeleiteten Schlichtungsverfahrens nicht abgewartet wird. Allerdings verstößt es gegen den verfassungsrechtlich verankerten garantierten freien Zugang zu Gericht sowie gegen das verfassungsrechtlich garantierte Sozialstaatsprinzip, einer Partei für die Prozessführung Bedingungen zu stellen (Fußnote). Grundsätzlich ist damit jeder berechtigt, einen Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stellen, unabhängig von einem vorher durchgeführten Schlichtungs- oder Gutachterverfahren.
Prozesskostenhilfe kann außerdem für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens bewilligt werden.
Nicht bedürftig im Sinne des Prozesskostenhilfeantrags ist, wer gem. § 1360a BGB im Rahmen von Unterhaltsregelungen einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss durchsetzen kann.
Ebenfalls nicht bedürftig in diesem Sinne ist eine Partei, die ihren Prozess mithilfe einer vorhandenen Rechtsschutzversicherung führen kann.

Beispiel für den Antrag auf Prozesskostenhilfe
Patient X vermutet, dass eine nach einer Operation an seiner Hand verbliebene Schädigung durch einen Behandlungsfehler verursacht worden ist.
Da er sich einen Prozess allerdings nicht leisten kann, beantragt er Prozesskostenhilfe, obwohl der Schaden von so geringem Ausmaß ist, dass er einen Prozess selbst nicht anstreben würde, müsste er ihn von seinem eigenen Geld bezahlen. Später fällt ihm auch noch ein, dass seine Frau für sich und ihn vor einigen Jahren eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat.

  • Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Zum einen muss bei minimalen Schäden die Mutwilligkeit der Prozessführung angenommen werden und zum anderen müsste der X seine Rechte mit Hilfe der Rechtsschutzversicherung durchsetzen.

6.6 Die Sachverhaltsaufklärung des Gerichts

Grundsätzlich gilt im Zivilprozess, anders als im Strafprozess, kein Amtsermittlungsgrundsatz. Das bedeutet, dass das Gericht im Zivilprozess nicht verpflichtet ist, eigene Nachforschungen über den Sachverhalt anzustellen und Beweise zu finden. Das Zivilgericht arbeitet gemäß dem Beibringungsgrundsatz ausschließlich mit Tatsachen, die von den Parteien vorgebracht wurden und darf auch nur diese verwerten. Im Arzthaftungsprozess sind diese Grundsätze allerdings ein wenig aufgeweicht. Dies ist dem Prinzip der Waffengleichheit geschuldet. Daraus ergibt sich eine von Amts wegen gesteigerte Pflicht des (Fußnote) Gerichts zur Klärung des Sachverhalts (Fußnote). Das Gericht ist dazu angehalten, möglichst umfassend aufzuklären, Behandlungsunterlagen in die Klärung einzubeziehen (Fußnote) und einen Sachverständigen mit der dem Gericht fehlenden Fachkompetenz hinzuzuziehen. Darüber hinaus muss das Gericht den Beklagten über die Möglichkeit einer Beweislastumkehr informieren, wenn dieser sich weigert an der Klärung des Sachverhalts mitzuwirken, z.B. durch die Weigerung der Herausgabe der Krankenakte. Dasselbe gilt für den Patienten, der die behandelnden Ärzte nicht von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbindet und so die Sachverhaltsaufklärung mutwillig komplizierter gestaltet. Im Eigeninteresse sollte der Patient deshalb im Rahmen seiner Möglichkeiten mitwirken.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arzthaftung - Nachweis und Durchsetzung von Ansprüchen bei ärztlichen Behandlungsfehlern“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Magdalena Mahrenholtz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-86-1.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Michael Kaiser, Rechtsanwalt

Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser berät und vertritt seit vielen Jahren Patienten, Ärzte und Gesundheitsorganisationen bei Rechtsfragen um Arztrecht/Medizinrecht.
Er vertritt Krankenversicherungsnehmer bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen gegen Krankenkassen. Insbesondere die Übernahme der Kosten für neue, vielversprechende, aber noch nicht anerkannte Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen liegt ihm am Herzen.
Er vertritt Patienten und Ärzte bei Arzthaftungsfällen. Er vertritt Ärzte beim Streit um die Vergütung bei Kassen- oder Privatpatienten und bearbeitet berufs- und standesrechtliche Fragestellungen, z.B. die Grenzen zulässiger Werbung, patent- und markenrechtliche Probleme oder Regressansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung.
Michael Kaiser begleitet Ärzte bei der Gründung und Auseinandersetzung von Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sowie bei der Praxisnachfolge.

Rechtsanwalt Michael Kaiser hat veröffentlicht:

  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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  • Arzthonorar und Kassenärztliche Vereinigung: Abrechnung und Regress
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