Verkehrsordnungswidrigkeiten - Teil 18 - Falsches Überholen

5.6 Falsches Überholen

Eine typische Ordnungswidrigkeit, die man besonders häufig auf der Autobahn sieht, ist das falsche Überholen. Bußgelder bewegen sich hier zwischen 30,00 EUR und 300,00 EUR. Dazu können bis zu 2 Punkte und 1 Monat Fahrverbot kommen.

5.6.1 Richtiges Überholen

Das richtige Verhalten beim Überholen ist § 5 StVO bestimmt: Danach ist immer links zu überholen.
Außerdem darf man nur überholen, wenn man mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt und übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Es ist ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern einzuhalten und man muss sich so bald wie möglich wieder nach rechts einordnen. Beim Ausscheren zum Überholen und beim Wiedereinordnen sind die Blinker zu benutzen um den Überholvorgang rechtzeitig und deutlich anzukündigen.

Beispiel
LKW-Fahrer L fährt auf der Autobahn A9 mit einem Sattelzug. Er folgt seit über einer halben Stunde einem anderen LKW, der sehr ungleichmäßig fährt, d. h. seine Geschwindigkeit teilweise anzieht und dann wieder verlangsamt. L entscheidet sich deshalb zum Überholen dieses LKWs. Dabei fährt er mit einer Geschwindigkeit zwischen 75 und 90 km/h auf die linke Fahrspur und begann seinen Überholvorgang. Im Laufe dieses Überholvorganges bemerkt er, dass er mit seinem Fahrzeug an dem überholten Fahrzeug nicht wirklich "vorbeikommt". Beide Fahrzeuge fahren mit nahezu gleicher Geschwindigkeit nebeneinander, ohne dass es L schafft, an dem Fahrzeug des Überholten vorbeizukommen. Dieses Nebeneinanderherfahren dauert 4 Autobahnkilometer, bis sich L endlich vollständig überholt hat. in der Zwischenzeit hat sich eine Pkw-Schlange gebildet. Das überholte Fahrzeug hielt während des Überholvorganges seine Geschwindigkeit gleichmäßig bei, ohne zu beschleunigen.

  • L hat hier ordnungswidrig gehandelt, da er falsch überholt hat. § 5 Abs.2 S. 2 StVO bestimmt nämlich, dass man nur überholen darf, wenn man mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt. Will ein LKW einen anderen LKW überholen, muss der Fahrer sicherstellen, dass der Verkehrsfluss durch den Überholvorgang nicht unangemessen behindert wird. Das ist zum Beispiel dann nicht der Fall, wenn sich ein solcher Vorgang zu verkehrsarmer Zeit auf einer dreispurigen Autobahn abspielt, und der schnellere Pkw-Verkehr ohne weiteres auf die dritte (äußere linke) Spur ausweichen kann (OLG Hamm 29.10.2008, 4 Ss OWi 629/08). Gleiches kann für eine ansonsten leere zweispurige Autobahn gelten. Ahndungswürdig ist ein Überholen von/durch Lkw (sog. "Elefantenrennen") jedoch dann, wenn ein solcher Vorgang wegen zu geringer Differenzgeschwindigkeit eine unangemessene Zeitspanne in Anspruch nimmt und der schnellere Pkw-Verkehr nicht nur kurzfristig behindert wird (OLG Hamm 29.10.2008, 4 Ss OWi 629/08). Eine kurzfristige Behinderung wäre bei einem Überholvorgang auf einer zweispurigen Autobahn eine Dauer von maximal 45 Sekunden (OLG Hamm 29.10.2008, 4 Ss OWi 629/08). Hier dauerte der Überholvorgang des L allerdings 4 km und zog eine Behinderung des PKW-Verkehrs mit sich.

5.6.2 Überholverbot

Das Überholen ist verboten, wenn die Verkehrslage unklar ist oder es durch ein angeordnetes Verkehrszeichen untersagt ist, § 5 Abs. 3 StVO.

Außerdem muss man sich bereits vor dem Überholen vergewissern, dass der benötigte Überholweg tatsächlich hindernisfrei zur Verfügung steht §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 2 StVO. Anderenfalls darf man auch nicht überholen.
Das gilt selbst dann, wenn ein entgegenkommendes Fahrzeug im Dunkeln ohne Licht fährt und daher schlechter zu erkennen ist, als ein entgegenkommendes Fahrzeug mit Licht: Man kann sich also in der Nacht, bei der Prüfung, ob der Überholweg frei ist nicht nur auf die Fahrzeugleuchten des Gegenverkehres verlassen, sondern muss auch mit dunklen, schwer erkennbarem Hindernissen rechnen. Denn, das Gebot sich beim Überholen über die Hindernisfreiheit des Überholwegs zu vergewissern, dient dazu alle denkbaren mit einem Überholvorgang verbundenen spezifischen Gefahren auszuschließen und deshalb erfasst dieses Gebot jedes Hindernis (BGH, Urteil vom 22. 02. 2000, Az.: VI ZR 92/99.

Beispiel
Der Motorradfahrer M fährt im Juni bei Einbruch der Dunkelheit zwischen 22:35 und 22:55 Uhr mit seinem Leichtkraftrad auf einer zweispurigen Bundesstraße. In der entgegenkommenden Richtung fährt der Autofahrer A mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h, der gerade im Begriff ist den vor ihm fahrenden Pkw des Rentners R zu überholen. A hatte während des Überholvorgangs Abblendlicht eingeschaltet. Das Motorrad des M war vorn unbeleuchtet und bei Beginn des Überholmanövers 120 m von A entfernt. A übersieht M und stößt während des Überholvorgangs frontal mit M zusammen. Durch ein Sachverständigengutachten wird festgestellt, dass A mit Abblendlicht höchstens mit einer Geschwindigkeit von 55 km/h hätte fahren dürfen, um auf ein Hindernis auf seiner Fahrbahn noch rechtzeitig reagieren zu können. Mit der Geschwindigkeit von 80 km/h konnte er sich nicht vergewissern, dass der Überholweg hindernisfrei ist.

  • A hat ordnungswidrig überholt, da er gegen §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Er hat sich nicht genügend vergewissert, dass ihm der benötigte Überholweg hindernisfrei zur Verfügung steht und hätte deshalb nicht überholen dürfen. Der Fahrer A konnte bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h bei Einbruch der Dunkelheit und Abblendlicht den Überholweg nämlich nicht ausreichend übersehen. Deshalb hätte A nach den Umständen, mit denen er sich konfrontiert sah - einer für erforderlich gehaltenen Überholgeschwindigkeit von 80 km/h einerseits und einer durch das Abblendlicht begrenzten Sichtweite andererseits - von der Durchführung des Überholvorgangs absehen müssen. A hat aber trotzdem zum Überholen angesetzt. Das M ohne Frontlicht gefahren ist, ändert nichts an dem Verstoß des A.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Ordnungswidrigkeiten im Verkehr“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Kristin Nözel, Volljuristin Dipl. jur. (Univ.), juristisch Fachautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-84-7.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Rechtsanwalt Michael Kaiser berät auf den Gebieten des zivilen Verkehrsrechts (insbesondere bei Verkehrsunfällen) und im Bereich Verkehrsordnungswidrigkeiten und im Verkehrsstrafrecht.

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