Int. Vertragsrecht - Teil 10 - Einschränkungen der freien Rechtswahl

4.3 Einschränkungen der freien Rechtswahl

Auch wenn den Parteien grundsätzlich ein sehr weiter Rahmen in der Wahl des auf den Vertrag anwendbaren Recht eingeräumt wird, gibt es gewisse Einschränkungen. Diese lassen sich am besten in folgenden Fallgruppen zusammenfassen.

4.3.1 Wahl nichtstaatlichen Rechts

Unmittelbar von den Parteien gewählt werden kann nur das Recht einer staatlichen Rechtsordnung.[1] Das bedeutet, dass auch im Rahmen der Parteiautonomie nicht die Anwendung jeglichen staatlichen Rechts ausgeschlossen werden kann.[2] Die Parteien können also bspw. nicht das handelsrechtliche Gewohnheitsrecht (lex mercatoria) oder die unverbindlichen Grundregeln für internationale Handelsverträge der UNIDROIT[3] zur alleinigen Grundlage ihres Vertrags machen.[4] Ebenso ausgeschlossen ist die Wahl von nichtstaatlichen religiösem Recht, bspw. der islamischen Sharia[5] oder der jüdischen Halacha.[6]

Das bedeutet allerdings nicht, dass nichtstaatliches Recht überhaupt keine Anwendung auf den Vertrag finden kann. So können die Vertragsparteien eine sog. materiell-rechtliche Verweisung vornehmen.[7] Dabei handelt es sich um eine Verabredung zwischen den Parteien, die Regeln eines bestimmten Regelwerks an Stelle der abänderbaren Normen der zuständigen Rechtsordnung zu verwenden. Das bedeutet allerdings auch, dass das nichtstaatliche Regelwerk sich nicht über die unabdingbaren, zwingenden Vorschriften einer Rechtsordnung hinwegsetzen kann.[8]

Beispiel
Die Parteien vereinbaren die Geltung der UNIDROIT Principles of International Commercial Law für ihren Vertrag.

  • Grundsätzlich dürfen die Parteien selbst darüber entscheiden welches Recht sie für den Vertrag gelten lassen wollen. Allerdings ist die alleinige Anwendung nichtstaatlichen Rechts davon ausgeschlossen. In Frage kommt daher eine materiell-rechtliche Verweisung auf das UNIDROIT Regelwerk. Dieses findet dann insoweit Anwendung wie es nicht unabänderbare Vorschriften der eigentlich anzuwendenden Rechtsordnung betrifft. Haben die Parteien abseits des UNIDROIT Regelwerks nichts bestimmt kommt sowohl eine konkludente Rechtswahl wie eine Ermittlung des anwendbaren Rechts auf Grundlage von Art. 4 Rom I-VO in Frage (s Kapitel 5).
  • Ergibt sich dadurch bspw. die Anwendung deutschen Rechts, so ist insbesondere auf zwingende Formvorschriften (z.B. notarielle Beurkundung beim Immobilienkauf), Sittenwidrigkeit, Verbraucherschutzrechte etc. zu achten.

Da die materiell-rechtliche Verweisung zur Anwendung einer Mischung aus nichtstaatlichen Regeln und zwingendem Recht der einschlägigen Rechtsordnung führt, ist das im Einzelfall anwendbare Recht häufig nur schwer zu ermitteln. Aufgrund der dadurch entstehenden Rechtsunsicherheit ist von der materiell-rechtlichen Verweisung in der Praxis regelmäßig abzuraten.[9]

4.3.2 Reine Inlandssachverhalte

Ebenfalls eingeschränkt ist die Wahl des anwendbaren Rechts gem. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bei reinen Inlandssachverhalten. Was einen reinen Inlandssachverhalt charakterisiert ist im Einzelnen umstritten. Unstrittig gehören solche Verträge dazu, die rein objektiv keinen Bezug zu einer ausländischen Rechtsordnung haben, die Geschäftspartner also aus dem gleichen Land stammen, die Vertragssache sich im Inland befindet und es auch sonst keinerlei grenzüberschreitenden Transaktionen gibt.

Dass die Parteien für den Vertrag ausländisches Recht gelten lassen wollen ist alleine noch kein ausreichender Auslandsbezug.[10] Wenn bspw. zwei deutsche Unternehmer einen Kaufvertrag über eine Immobilie in der Frankfurter Innenstadt abschließen, ist es irrelevant, ob sie für den Vertrag deutsches oder ein ausländisches Recht gelten lassen wollen. Daran ändert es im Übrigen auch nichts, wenn die Parteien vereinbart haben, dass im Streitfall ausländische Gerichte zuständig sein sollen.[11] Ebenfalls unzureichend ist es, wenn lediglich die Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien sich unterscheidet.[12] Ob ein reiner Inlandssachverhalt auch dann vorliegt, wenn lediglich der Abschlussort im Ausland liegt ist von Gerichten bisher sehr unterschiedlich bewertet worden.[13] Aufgrund der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit ist in der Praxis davon abzuraten, dort eine ausländische Rechtsordnung zu bestimmen, wo der ausländische Abschlussort den einzigen Auslandbezug des Vertrags darstellt.

Hinreichend anerkannt ist dagegen ein bestehender Auslandsbezug, sobald die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in zwei unterschiedlichen Staaten haben, ein im Ausland liegender Erfüllungsort gewählt wurde oder es ansonsten zu grenzüberschreitenden Transaktionen von Waren, Dienstleistungen oder Finanzmitteln gekommen ist.[14]

Ebenso wie bei der Wahl nichtstaatlichen Rechts kann auch bei einem reinen Inlandssachverhalt eine materiell-rechtliche Verweisung vorgenommen werden.[15] Somit können die Parteien zwar im Rahmen dessen, was die inländische Rechtsordnung gestattet, auch ausländisches Recht anwenden. Die Wahl ausländischem Rechts kann aber nicht dazu genutzt werden um zwingende inländische Rechtsnormen zu umgehen.[16]

Beispiel
Zwei deutsche Unternehmer wollen einen Kaufvertrag über eine Immobilie in Frankfurt schließen. Da Sie sich die gem. § 311b Abs. 1 BGB iVm § 128 BGB auf Kaufverträge über Immobilien zwingend notwendige notarielle Beurkundung sparen wollen, vereinbaren sie die Geltung englischen Rechts, das für Immobiliengeschäfte lediglich Schriftform vorsieht. Einen weiteren Auslandsbezug gibt es nicht. Können sich die Parteien das Einschalten eines Notars sparen?

  • In diesem Fall besteht der einzige Auslandsbezug des Vertrags in der von den Parteien gewählten Rechtsordnung. Da ausschließlich die Vereinbarung fremden Rechts kein ausreichendes Kriterium darstellt und ansonsten kein Auslandsbezug vorliegt, handelt es sich bei dem Immobilienkaufvertrag um einen reinen Inlandssachverhalt. Gem. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO kann die Rechtswahl eines fremden Rechts die zwingenden Normen des Inlandsrechts somit nicht verdrängen. Bei der Formvorschrift iSd § 311b BGB handelt es sich um eine solche zwingende, nicht abänderbare Vorschrift des deutschen Rechts. Somit kann der Vertrag zwischen den beiden Unternehmern nicht nach englischem Recht geschlossen werden, sofern nicht die Formvorschriften des deutschen BGBs beachtet werden.


[1] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 40.

[2] Leible/Lehmann, RIW 2008, 529 (533).

[3] UNIDROIT (Hrsg.), UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2004, 2004.

[4] Ringe in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, Art. 3 Rom I-VO Rn 38.

[5] Vgl. Shamil Bank of Bahrain v. Beximco Pharmaceuticals Ltd., [2004] 1 W. L. R. 1784 (CA).

[6] MüKoBGB/Martiny, 7. Auflage 2018, Rom I-VO Art. 3 Rn 28.

[7] BeckOK BGB/Spickhoff, 44. Ed. 1.11.2017, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 13.

[8] Leible/Lehmann, RIW 2008, 529 (533).

[9] Leible/Lehmann, RIW 2008, 529 (533).

[10] Ringe in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, Art. 3 Rom I-VO Rn 43.

[11] Vgl. Erwägungsgrund 15 Rom I-VO.

[12] BGH NJW-RR 2005, 929 (931).

[13] Dafür: OLG Celle RIW 1991, 421; OLG Hildesheim IntPraxis 1993, 173; Ablehnend: OLG Frankfurt NJW 1989, 1018.

[14] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 41.

[15] Ferrari IntVertragsR/Ferrari, 3. Auflage 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 18.

[16] Ringe in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, Art. 3 Rom I-VO Rn 46.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Portrait Tilo-Schindele

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