Preisabsprachen - Teil 10 - Freistellung im deutschen Recht

2.2.6.2 Freistellung im deutschen Recht

Eine Freistellung im deutschen Recht kann sich unter anderem aus § 2 GWB und 3 GWB ergeben. Bei § 3 GWB ist zu beachten, dass diese Norm nur für kleine und mittlere Unternehmen gilt.

2.2.6.2.1 Freistellung nach § 2 GWB

Eine Wettbewerbsbeschränkung, welche den Tatbestand des § 1 GWB erfüllt, kann unter bestimmten Voraussetzung kraft Gesetzes freigestellt werden. Man spricht auch von einer Legalausnahme. § 2 Abs. 1 GWB entspricht dabei dem Art. 101 Abs. 3 AEUV.

Die Freistellungsvoraussetzungen sind:

  • Eine Verbesserung der Warenerzeugnisse, Warenverteilung oder Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts
  • Eine angemessene Beteiligung der Verbraucher an den entstandenen Gewinnen
  • Die Unerlässlichkeit der den beteiligten Unternehmen auferlegten Beschränkungen für die Zielverwirklichung
  • Keine Ermöglichung der Ausschaltung des Wettbewerbs für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren

Aufgrund der dynamischen Verweisung auf die europäischen Gruppenfreistellungsverordnungen in § 2 Abs. 2 GWB sind diese unmittelbar im deutschen Recht anwendbar. Sofern Wettbewerbsbeschränkungen die Voraussetzungen einer GVO erfüllen, sind diese über § 2 Abs. 2 GWB unmittelbar vom Verbot des § 1 GWB freigestellt. Die Gruppenfreistellungsverordnungen sind auch dann im deutschen Recht anwendbar, wenn Wettbewerbsbeschränkungen den zwischenstaatlichen Handel nicht beeinträchtigen und der Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV gerade nicht eröffnet ist, sondern nur ein Verstoß gegen § 1 GWB vorliegt.[1]

2.2.6.2.2 Freistellung für Mittelstandskartelle nach § 3 GWB

§ 3 GWB stellt Mittelstandskartelle vom Kartellverbot frei. Mittelstandskartelle sind Kooperationen kleinerer und mittlerer Unternehmen durch Vereinbarungen und Beschlüsse, die den Zweck verfolgen, durch die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen die wirtschaftlichen Vorgänge effektiver zu machen. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Kooperationen der mittelständischen Wirtschaft, auch wenn sie den Wettbewerb beschränken, nützlich und strukturell wettbewerbsfördernd sein können.[2]

Bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen von § 3 GWB sind auch die Voraussetzungen des allgemeinen Freistellungstatbestands nach § 2 Abs. 1 GWB erfüllt. Es handelt sich hier um eine gesetzliche Fiktion. Obwohl die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 GWB in Wirklichkeit nicht vorliegen, werden sie als gegeben behandelt.

Für eine Freistellung nach § 3 GWB müssen folgende vier Voraussetzungen vorliegen:

  • Horizontale Vereinbarung nach § 1 GWB
  • Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge
  • Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittelständischer Unternehmen
  • Keine wesentliche Beeinträchtigung auf dem wesentlichen Markt

Bei der Anwendung des § 3 GWB ist der Vorrang des Art. 101 AEUV zu berücksichtigen. Sobald dieser greift, müssen für eine Freistellung die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV vorliegen. Im Rahmen des EU-Rechts kann man sich dann nicht mehr auf die Fiktion des § 3 GWB berufen.[3]

Voraussetzung 1: Horizontale Vereinbarungen nach § 1 GWB
Gem. § 3 GWB sind nur Vereinbarungen und Beschlüsse zwischen Wettbewerbern von der Freistellung erfasst.

Voraussetzung 2: Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge
Unter der Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge ist die Effektivität zu verstehen, also die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Aufwand und Ertrag. Kooperationen, die lediglich auf den Ausschluss des Wettbewerbs gerichtet sind, fallen nicht unter die Freistellung des § 3 GWB.

Im Rahmen des § 3 GWB können generell auch nicht freigestellte Kernbeschränkungen nach § 2 GWB freistellungsfähig sein, sofern sie die Voraussetzungen erfüllen.

Da Preisabreden zu keiner Verbesserung der Effektivität führen, sind sie nicht freistellungsfähig. Nur wenn die Preisabreden mit dem Rationalisierungserfolg verbunden sind, können auch Absprachen über Preise oder Preisbestandteile zulässig sein, wie es beispielsweise bei einer Werbe- oder Vertriebsgemeinschaft mittelständischer Unternehmen der Fall sein kann.[4]

Voraussetzung 3: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU)
Eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen durch die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit ist beispielsweise anzunehmen, wenn eine Ausweitung der Produktion oder Erhöhung ihrer Qualität, eine Verbreiterung des Sortiments, eine Verkürzung der Lieferwege oder -fristen, eine rationellere Gestaltung der Einkaufs- oder Vertriebsorganisation oder eine gemeinsame Werbemaßnahme vorliegt.[5]

Bezüglich des Begriffs des KMU wird nicht auf absolute Größenordnungen wie den Umsatz abgestellt, sondern auf die vorliegende Marktstruktur. Maßgeblich ist der Vergleich mit anderen Unternehmen auf dem Markt.

Großunternehmen können sich an der Kooperation beteiligen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der KMU erst durch den Beitritt des Großunternehmens möglich wird. Die Beteiligung des Großunternehmens wird aber häufig daran scheitern, dass eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem Markt vorliegt.[6]

Voraussetzung 4: Keine wesentliche Beeinträchtigung auf dem Markt
Ob eine wesentliche Beeinträchtigung auf dem Markt vorliegt, muss im Einzelfall durch eine Gesamtwürdigung der Auswirkung der Vereinbarung bestimmt werden. Insbesondere sind dabei die Marktstellung und Marktanteile der beteiligten Unternehmen, die Art der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit und die Marktsituation insgesamt zu berücksichtigen. Bezüglich des Marktanteils, wird davon ausgegangen, dass ein Marktanteil von 10-15 % eine kritische Grenze für eine Wettbewerbsbeeinträchtigung darstellt.[7]


[1] Kling/Thomas S. 568, Rn. 13.

[2] Drucksache 15/3640, Rn. 28.

[3] Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 626, Rn. 209.

[4] Bundeskartellamt, Merkblatt des Bundeskartellamtes über die Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, Rn. 28 ff.

[5] Bundeskartellamt, Merkblatt des Bundeskartellamtes über die Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, Rn. 36.

[6] Bundeskartellamt, Merkblatt des Bundeskartellamtes über die Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, Rn. 37 ff.

[7] Bundeskartellamt, Merkblatt des Bundeskartellamtes über die Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, Rn. 34 ff.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Preisabsprachen im Kartellrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Laura Macht, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-87-8.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

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Tilo Schindele ist Dozent für Kartellrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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