Arzthaftung - Teil 17 - Der grobe Behandlungsfehler

5 Der grobe Behandlungsfehler

Der grobe Behandlungsfehler hat vor allem deshalb im Arzthaftungsrecht besondere Bedeutung, weil er nicht einfach nur die größere "Schwere" des Fehlers bezeichnet, sondern durch ihn eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten stattfinden kann.

5.1 Definition eines groben oder schweren Behandlungsfehlers

Eine gesetzliche Definition des groben Behandlungsfehlers gibt es nicht. Aus der von der Rechtsprechung entwickelten heutigen Sichtweise liegt ein grober Behandlungsfehler dann vor, wenn ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, welches aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, S. 687/688). Der Begriff der "Schwere" bezieht sich nicht auf den Schaden, den der Patient erlitten hat, sondern auf das Ausmaß des fehlbehafteten Handelns des Arztes. Dabei ist entscheidend die objektive medizinische Fehlerqualität der konkreten Behandlung (MedR 2012, 450). Die Feststellung des groben Behandlungsfehlers obliegt dem jeweiligen Richter im Prozess als juristische Wertung, und nicht etwa dem Sachverständigen. Allerdings beruht diese juristische Wertung durch medizinische Laien regelmäßig auf der medizinischen Bewertung des Geschehens durch den Gutachter (Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 438). Eine eigene Bewertung des Behandlungsfehlers als grob oder nicht grob durch den Sachverständigen stellt dabei zwar eine Überschreitung seiner Kompetenzen dar, der allerdings dadurch Rechnung getragen wird, dass der Richter an diese Bewertung nicht gebunden ist. In der Praxis wird er allerdings begründen müssen, was ihn zu einer Abweichung von der Bewertung des medizinischen Fachmanns bewegt hat.

Beispiel für einen groben Behandlungsfehler
Arzt Y sieht im EKG von Patient X Veränderungen, nachdem dieser Beschwerden formuliert hat, die auf einen Herzinfarkt hindeuten ("starker Druck in der Brust", "schweres Atmen", "Treppensteigen kaum möglich"). Y unterlässt es, den X postwendend in ein Krankenhaus zur Herzkathederuntersuchung zu überweisen.

  • Der Arzt macht sich hier wegen eines groben Behandlungsfehlers haftbar. Sogar dem normalverständigen Laien drängt sich die Vermutung eines Herzinfarktes auf, sodass der Arzt alle Möglichkeiten zur sofortigen Diagnostik hätte in Betracht ziehen und in die Wege leiten müssen; besonders in Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die ein Herzinfarkt verursachen kann.

Wenn das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers festgestellt ist, muss der Behandlungsfehler nur noch grundsätzlich geeignet sein, den beim Patienten eingetretenen Schaden zu verursachen, um zu einer Beweislastumkehr zu führen. Ist der Fehler zwar grundsätzlich geeignet, den Schaden zu verursachen, aber erscheint dies im konkreten Einzelfall unmöglich oder höchst unwahrscheinlich, findet keine Beweiserleichterung für den Patienten statt. Die Häufung von mehreren, an sich nicht groben Behandlungsfehlern, kann die Gesamtbehandlung als grob fehlerhaft qualifizieren (Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 438). Die Beurteilung der Schwere des Behandlungsfehlers ist immer im Einzelfall zu betrachten. So kann es in Fällen, in denen sich die Behandlung aufgrund äußerer Umstände besonders schwierig gestaltet, auch zu der Beurteilung kommen, dass ein eigentlich grober Behandlungsfehler im konkreten Fall nur als einfacher Fehler anzusehen ist.
Der Annahme eines groben Behandlungsfehlers kann es auch entgegenstehen, wenn der Patient selbst durch sein eigenes Verhalten, z.B. Missachtung ärztlicher Anweisungen, die Behandlung wesentlich erschwert und damit den Behandlungsfehler mitverursacht hat.

5.2 Haftungsbegründende Kausalität

Grundsätzlich muss der Patient zusätzlich zum Vorliegen eines Behandlungsfehlers auch dessen Kausalität für den eingetretenen Schaden beweisen. Das Vorliegen des Behandlungsfehlers als solchem kann der Patient dadurch beweisen, dass er nachweisen kann, dass die vorgenommene ärztliche Behandlung nicht dem Facharztstandard im Zeitpunkt der Behandlung entsprochen hat. Auf Kenntnisse in der Medizin, die erst nach der Behandlung gewonnen wurden, kann der Patient sich nicht berufen. Der Beweis des Zusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und dem eingetretenen Schaden ist von dem Patienten zur vollen Überzeugung des Gerichtes zu erbringen, wobei "ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, ausreicht" (BGH, Urt. v. 07.02.2012 - VI ZR 63/11). Das Gericht muss von den Ausführungen des Patienten also in dem Maß überzeugt sein, dass Zweifel zwar bestehen können, diese aber so gering sind, dass sie außer Acht gelassen werden dürfen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arzthaftung - Nachweis und Durchsetzung von Ansprüchen bei ärztlichen Behandlungsfehlern“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Magdalena Mahrenholtz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-86-1.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Michael Kaiser, Rechtsanwalt

Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser berät und vertritt seit vielen Jahren Patienten, Ärzte und Gesundheitsorganisationen bei Rechtsfragen um Arztrecht/Medizinrecht.
Er vertritt Krankenversicherungsnehmer bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen gegen Krankenkassen. Insbesondere die Übernahme der Kosten für neue, vielversprechende, aber noch nicht anerkannte Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen liegt ihm am Herzen.
Er vertritt Patienten und Ärzte bei Arzthaftungsfällen. Er vertritt Ärzte beim Streit um die Vergütung bei Kassen- oder Privatpatienten und bearbeitet berufs- und standesrechtliche Fragestellungen, z.B. die Grenzen zulässiger Werbung, patent- und markenrechtliche Probleme oder Regressansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung.
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  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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