Preisabsprachen - Teil 09 - Vertikal Gruppenfreistellungsverordnung

4.2.6.1.2 Vertikal Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 330/2010

Als Gruppe werden bestimmte Kategorien von Absprachen bezeichnet, die aufgrund der Gleichförmigkeit ihrer wettbewerblichen Auswirkung einer vereinheitlichten Beurteilung unterzogen werden.[1]

Die Vertikale Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 330/2010 (im weiteren nur noch Vertikal-GVO) ist in der Praxis eine der bedeutsamsten Gruppenfreistellungsverordnungen. Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO bestimmt eine Freistellung vom Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV für vertikale Vereinbarungen, sofern sie gewisse Voraussetzungen erfüllen und keine Kernbeschränkungen darstellen.

  • Vorliegen einer vertikalen Vereinbarung
  • Weniger als 30% Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf dem relevanten Markt
  • Kein Vorliegen der in der GVO aufgeführten Kernbeschränkungen

Voraussetzung 1: Vertikale Vereinbarung
Als erste Voraussetzung muss zunächst eine vertikale Vereinbarung nach der Vertikal-GVO vorliegen. Eine vertikale Vereinbarung ist danach jede Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen geschlossen wird. Die beteiligten Unternehmen müssen auf unterschiedlichen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sein. Weiterhin ist es erforderlich, dass die Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise die Bedingungen für den Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf der Waren und Dienstleistungen regelt.[2]

Voraussetzung 2: Marktanteilsschranke
Sofern der Marktanteil der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen jeweils 30% nicht überschreitet, wird vermutet, dass vertikale Vereinbarungen allgemein zu einer Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs und zu einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher an den daraus entstehenden Gewinnen führen. Der relevante Markt des Abnehmers ist der Markt, auf dem er seine Waren und Dienstleistungen anbietet, während für den Abnehmer der Markt relevant ist, auf dem er die Waren und Dienstleistungen bezieht.

Voraussetzung 3: Kein Vorliegen von Kernbeschränkungen
Die Vertikal-GVO benennt insgesamt fünf Kernbeschränkungen, die von der Freistellung der Vertikal-GVO ausgenommen sind. Die aufgeführten Kernbeschränkungen betreffen Formen der Preisbindung und Vereinbarungen über einen absoluten Gebietsschutz.

Damit eine Kernbeschränkung im Sinne der Vertikal-GVO vorliegt, muss die vertikale Wettbewerbsbeschränkung einen Tatbestand des Art. 4 lit. a bis lit. e bezwecken. Dabei wird das Bezwecken wie bei Art. 101 Abs. 1 AEUV verstanden. Ein Bewirken der Wettbewerbsbeschränkung reicht hier nicht aus.[3] Sobald eine Kernbeschränkung vorliegt, ist die wettbewerbsbeschränkende Maßnahme nicht mehr freistellungsfähig, auch wenn die restlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Artikel 4 lit. a Vertikal-GVO ist für die Frage der Freistellung bei vertikalen Preisabsprachen besonders zu beachten. Als Kernbeschränkung sind Preisbindungen der zweiten Hand, vertikale Preisbindung, d. h. Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die unmittelbar oder mittelbar die Festsetzung von Fest- oder Mindestverkaufspreisen bezwecken, anzusehen. Höchstpreisbindungen und unverbindliche Preisempfehlungen sind freistellungsfähig, wenn sie sich nicht wie Fest- oder Mindestpreise auswirken. Jedoch bezieht sich das Verbot ausschließlich darauf, dass der Abnehmer gebunden wird. Die Bindung des Anbieters ist davon nicht erfasst.[4]

Für die Beurteilung, ob eine Kernbeschränkung vorliegt, ist es unerheblich, ob die Preisfestsetzung direkt oder indirekt erfolgt ist.

Beispiele für eine indirekte Preisfestsetzung:[5]

  • Abmachungen über Absatzspannen oder Rabatte, die der Händler höchstens auf ein vorgegebenes Preisniveau gewähren darf
  • Bestimmungen, nach denen die Gewährung von Nachlässen oder die Erstattung von Werbeaufwendungen durch den Anbieter von der Einhaltung eines vorgegebenen Preisniveaus abhängig gemacht wird oder der vorgeschriebene Weiterverkaufspreis an die Weiterverkaufspreise von Wettbewerbern gebunden wird
  • Drohungen, Einschüchterungen, Warnungen, Strafen, Verzögerung oder Aussetzung von Lieferungen oder Kündigung des Vertrages bei Nichteinhaltung eines bestimmten Preisniveaus

Direkte oder indirekte Maßnahmen zur Preisfestsetzung können eine stärkere Wirkung haben, wenn Preisüberwachungssysteme eingesetzt werden oder die Einzelhändler verpflichtet werden, andere Mitglieder des Vertriebsnetzes zu melden, wenn diese von dem Standardpreisniveau abweichen.[6]

Sofern die Vereinbarung aufgrund des Vorliegens einer Kernbeschränkung nicht nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO freistellungsfähig ist, besteht für die Unternehmen die Möglichkeit, im Einzelfall nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV wettbewerbsfördernde Wirkungen nachzuweisen. Dann müssen die Unternehmen substantiiert vortragen, dass:[7]

  • sich die Effizienzgewinne aus der Vereinbarung mit der enthaltenen Kernbeschränkung ergeben
  • alle Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllt sind

[1] Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 151 f, Rn. 302.

[2] Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (2010/C 130/01), Rn. 24 ff.

[3] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 162, Rn. 353 ff.

[4] Kling/Thomas, S. 163. Rn. 357.

[5] Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (2010/C 130/01), Rn. 48.

[6] Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (2010/C 130/01), Rn. 48.

[7] Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen (2010/C 130/01), Rn. 47.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Preisabsprachen im Kartellrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Laura Macht, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-87-8.


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Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

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Tilo Schindele ist Dozent für Kartellrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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Normen: Art. 101 Abs. 3 AEUV

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