Arzthaftung – Teil 10 – Behandlungsfehlerarten

4.3 Arten von Behandlungsfehlern

Als Behandlungsfehler werden Fehlleistungen in verschiedenen Stadien und Institutionen der Behandlung bezeichnet. Eine Geltendmachung von Ansprüchen durch den Patienten ist bei Fehlern in Bezug auf die Diagnose, die Therapie, die Organisation der Behandlung, die Überwachung des Personals oder eine fehlerhafte Übernahme der Behandlung möglich.

4.3.1 Diagnosefehler

Der Diagnosefehler bezeichnet zum einen die Falsch- oder Fehlinterpretation von erhobenen oder bereits vorliegenden Befunden, zum anderen das Unterlassen von gebotenen Maßnahmen zur Erhebung. Die Beurteilung von Diagnosefehlern als Behandlungsfehler ist grundsätzlich zurückhaltend anzugehen. Die Abgrenzung zwischen einem Diagnoseirrtum, der noch nachvollziehbar ist, und einem Diagnosefehler, der zu einer Haftung des Arztes führt, ist hier von entscheidender Bedeutung. Regelmäßig ist der Diagnosefehler dann als Behandlungsfehler zu werten, wenn der Arzt verkennt, dass der Patient eindeutige oder zumindest deutliche Symptome aufweist, die auf eine bestimmte Erkrankung hindeuten.

Beispiele von Diagnosefehlern

  • Ein bösartiges Karzinom (Krebstumor) wird fälschlicherweise als gutartige Geschwulst gedeutet.
  • Eine Fraktur wird im Röntgenbild nicht erkannt.

Allerdings kann nicht aus jedem Diagnosefehler ein Vorwurf an den Arzt gemacht werden. Einerseits können dieselben Symptome im Rahmen verschiedener Krankheitsbilder bei ein und demselben Patienten aus unterschiedlichen Gründen auftreten. Andererseits sind Symptome immer abhängig von den individuellen körperlichen Funktionsweisen des Einzelnen. Symptome stehen im Rahmen der Diagnostik damit lediglich als Hinweis oder zur Verifizierung einer Diagnosevermutung zur Verfügung, sind aber nicht immer als Beweis geeignet.

  • Nicht jede Fehlinterpretation von Symptome und damit Nicht-Erkennung von Krankheitsursachen führt damit zur Annahme eines Behandlungsfehlers. Auch der verkannte Tumor oder die missdeutete Fraktur führen also nicht automatisch zu einer Haftung des Arztes. Die Diagnose muss "schlechthin unvertretbar" sein. Ist die Fraktur im Röntgenbild beispielsweise aufgrund der Anatomie des Patienten besonders schwer zu erkennen, wird sich hieraus kein Behandlungsfehler in Form eines Diagnosefehlers ableiten lassen.

Um Diagnosefehler weitestgehend auszuschließen, könnte in der Theorie der Patient vollständig "ausdiagnostiziert" werden, also mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln untersucht werden. Die Erhebung von sämtlichen irgendwie zur Verfügung stehenden Diagnosemaßnahme würden allerdings den ohnehin schon durch Krankheit geschwächten Patienten unverhältnismäßig belasten und noch dazu unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen sein (Heyers, Einführung in das Arzthaftungsrecht, BRJ 02/2012). Eine Überdiagnostik darf der Arzt also nicht betreiben. Als Überdiagnostik ist jede Maßnahme zu werten, deren Durchführung zur Beurteilung des Krankheitsbildes nicht beitragen kann. Führt der Arzt dennoch nicht zielführende Untersuchungen durch, besteht die Möglichkeit, dass diese Durchführung ihrerseits einen Behandlungsfehler darstellt.

Beispiel der Überdiagnostik

  • Wird als Ursache der durch Patienten genannten Beschwerden ein Bandscheibenvorfall und Läsion eines Nervs im Unterarm festgestellt, kann eine Blutdruckmessung zur Diagnose nichts beitragen. Eine Verpflichtung des Arztes, ungeachtet der von dem Patienten genannten Beschwerden und der Konstitution des Patienten, stets vorsorglich den Blutdruck zu messen besteht nicht (OLG München VersR 2007, 652 f.). Die Blutdruckmessung allein ist allerdings nicht geeignet, einen eigenen Behandlungsfehler zu begründen, wenn sich nicht ein hierdurch entstandener Schaden nachweisen lässt.

Ein Diagnosefehler kann allerdings vor allem dann angenommen werden, wenn Krankheitsbilder offensichtlich und in unvertretbarer, der Schulmedizin entgegenstehender Weise gedeutet werden oder eine Überprüfung der ersten Diagnose im weiteren Behandlungsverlauf unterbleibt, falls die angewandte Therapie keine Wirkung gezeigt hat (Fenger/Holznagel/Neuroth/Gesenhues, Schadensmanagement für Ärzte, S. 27). Nur in diesen Fällen kann ein Diagnosefehler zu einer Haftung führen.

Beispiel für einen Diagnosefehler

  • Eine fehlerhafte Handlung des Arztes liegt vor, wenn der Arzt an seiner Diagnose "Mandelentzündung" festhält und diese weiter therapiert, obwohl sich erhebliche Anzeichen für eine Hirnhautentzündung zeigen und keine Besserung durch die Behandlung eintritt (OLG Stuttgart VersR 1994, 314 f.).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arzthaftung - Nachweis und Durchsetzung von Ansprüchen bei ärztlichen Behandlungsfehlern“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Magdalena Mahrenholtz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-86-1.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Michael Kaiser, Rechtsanwalt

Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser berät und vertritt seit vielen Jahren Patienten, Ärzte und Gesundheitsorganisationen bei Rechtsfragen um Arztrecht/Medizinrecht.
Er vertritt Krankenversicherungsnehmer bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen gegen Krankenkassen. Insbesondere die Übernahme der Kosten für neue, vielversprechende, aber noch nicht anerkannte Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen liegt ihm am Herzen.
Er vertritt Patienten und Ärzte bei Arzthaftungsfällen. Er vertritt Ärzte beim Streit um die Vergütung bei Kassen- oder Privatpatienten und bearbeitet berufs- und standesrechtliche Fragestellungen, z.B. die Grenzen zulässiger Werbung, patent- und markenrechtliche Probleme oder Regressansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung.
Michael Kaiser begleitet Ärzte bei der Gründung und Auseinandersetzung von Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sowie bei der Praxisnachfolge.

Rechtsanwalt Michael Kaiser hat veröffentlicht:

  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Arzthaftung: Die Haftung des Arztes für Behandlungsfehler
  • Die Ärztegesellschaft: Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft
  • Arzthonorar und Kassenärztliche Vereinigung: Abrechnung und Regress
  • Vergütungsansprüche von Ärzten und Therapeuten

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