Verkehrsordnungswidrigkeiten – Teil 10 – Absehen vom Fahrverbot II

4.4.3.2 Erhöhte Geldbuße anstelle Fahrverbot

Ein Fahrverbot erscheint außerdem manchmal nicht angemessen, weil bereits eine erhöhte Geldbuße den notwendigen Warneffekt gegenüber dem Betroffenen bewirkt.

Beispiel
Autofahrer A hat sich bisher keine Verkehrsordnungswidrigkeit zu Schulden kommen lassen. Eines Abends trinkt er ein Bier zu viel und wird mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,28 mg/l bei Autofahren erwischt.

  • A hat eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen, da er fahrlässig ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,28 mg/l geführt hat. Von der Verhängung eines Fahrverbots kann allerdings unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden, da der Verstoß nur knapp über dem Grenzwert zum Fahrverbot liegt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.08.2005, Az.: 1 Ss 84/05).

4.4.3.3 Zu viel Zeit seit Verkehrsordnungswidrigkeit vergangen

Ein Fahrverbot kann auch deshalb als unangemessen angesehen werden, weil die Ordnungswidrigkeit bereits zu lange zurückliegt. Nach der Rechtsprechung erzielt ein Fahrverbot dann nicht mehr seine Wirkung als "Denkzettel", wenn zwischen Tatbegehung und Entscheidung über das Fahrverbot mehr als zwei Jahren liegen (OLG Hamm, 21.12.2007, Az.:3 Ss OWi 315/07; OLG Hamm, 17.02.2009, Az.: 3 Ss OWi 941/08).

Beispiel
Das Amtsgericht hat den Autofahrer A am 03.03.2018 wegen fahrlässiger Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen befuhr A am 04.02.2016 die A9 mit einer Geschwindigkeit von 146 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit an dieser Stelle nur 120 km/h beträgt. Das Fahrverbot gegen den vor der Tat vielfach, nach der Tat jedoch - ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen - nicht mehr straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getretenen Betroffenen, der sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen hat, stützt das Amtsgericht auf die Anordnung des Fahrverbots bei dem entsprechenden Geschwindigkeitsverstoß im Bußgeldkatalog.

  • Die Anordnung des Fahrverbots gegen A ist hier unangemessen und kann mit einer Rechtsbeschwerde angegriffen werden. Bei einer so langen Verfahrensdauer verliert das Fahrverbot seinen Sinn als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme, wenn die zu ahndende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt und die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände nicht vom Betroffenen verursacht worden sind und er sich seitdem verkehrsgerecht verhalten hat (so OLG Hamm, 17.02.2009, Az.: 3 Ss OWi 941/08).

4.4.3.4 Fahrverbot ist unverhältnismäßige Härte

Ein Absehen von einem Fahrverbot kommt im Übrigen nur bei Vorliegen eines besonderen Härtefalls für den Betroffenen in Betracht. Wann eine erhebliche Härte vorliegt, ist allerdings immer Einzelfallentscheidung des Gerichts und kann nicht pauschalisiert werden. Nach der Rechtsprechung muss ein Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch die Anordnung des Fahrverbots drohen (OLG Hamm, 29. November 2007, Az.: 3 Ss OWi 784/07; OLG Bamberg, 22. Januar 2009, Az.: 2 Ss OWi 5/2009; OLG Hamm, Beschluss vom 24. Januar 2007, Az.: 4 SsOWi 891/06; OLG Hamm Beschluss vom 30. April 2007, Az.: 2 SsOWi 218/07; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29. Januar 2009, Az.: 2 Ss OWi 39/09).

In der Praxis ist die Bejahung einer unverhältnismäßigen Härte ein seltener Ausnahmefall, denn die Rechtsprechung geht grundsätzlich davon aus, dass berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten selbstverschuldet sind. Den Betroffenen ist es zudem oft möglich, sich in der viermonatigen Karenzzeit, in der sie mitbestimmen können, wann sie den Führerschein abgeben, auf die führerscheinfreie Zeit einzustellen. Eine Existenzgefährdung oder ein drohender Arbeitsplatzverlust sind daher keine pauschalen Argumente gegen ein Fahrverbot. Auch Bloße berufliche Folgen selbst von schwerwiegender Art genügen nicht, da sie mit einem Fahrverbot sehr häufig verbunden sind. Angestellte und Arbeitnehmer können in der Zeit des Fahrverbots zum Beispiel Urlaub nehmen oder sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. April 2007, Az.: 2 Ss OWi 218/07). Bei Selbstständigen wird auf die Möglichkeit hingewiesen einen Kredit aufzunehmen oder einen Fahrer zu beschäftigen, um eine Existenzgefährdung abzuwenden (OLG Hamm, Beschluss vom 30. April 2007, Az.: 2 Ss OWi 218/07).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Ordnungswidrigkeiten im Verkehr“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Kristin Nözel, Volljuristin Dipl. jur. (Univ.), juristisch Fachautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-84-7.


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Stand: Januar 2018


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Rechtsanwalt Michael Kaiser berät auf den Gebieten des zivilen Verkehrsrechts (insbesondere bei Verkehrsunfällen) und im Bereich Verkehrsordnungswidrigkeiten und im Verkehrsstrafrecht.

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