Int. Vertragsrecht – Teil 01 – Einleitung, Anwendungsbereich

1 Einleitung

1.1 Inhalt des internationalen Vertragsrechts

Im Zuge der durch die Globalisierung voranschreitenden und immer enger werdenden internationalen Verflechtung der Wirtschaft sind auch für kleine und mittelständische Unternehmen grenzüberschreitende Verträge heute Teil des alltäglichen Geschäfts geworden. Sollen bspw. Teile einer Windkraftanlage nach Vietnam geliefert und installiert werden, bestellt das deutsche Unternehmen Materialien bei niederländischen Zulieferern oder mietet es für die Präsentation eines neuen Produkts Räumlichkeiten in Frankreich an, so ist die Grundlage dieser geschäftlichen Beziehungen stets ein grenzüberschreitender privatrechtlicher Vertrag. Kommt es im Rahmen dieser Verträge zu Störungen, so ist für die rechtliche Bewertung der Streitfrage entscheidend, welches Recht auf den Vertrag Anwendung findet. Beanstandet bspw. das deutsche Unternehmen die vom französischen Geschäftspartner zur Verfügung gestellte Mietsache als mangelhaft, so kommen grundsätzlich die Rechtsordnungen beider Parteien bei der Beurteilung der vertraglichen Pflichten in Frage, d.h. sowohl deutsches als auch französisches Privatrecht.

Zwar bestehen für einzelne Sachbereiche, insb. im grenzüberschreitenden Kaufrecht oder für internationale Transportgeschäfte bereits durch Staatenvertrag geregelte einheitliche Rechtsgrundlagen (s. Kapitel 3.3). Mangelt es jedoch an einer solchen Grundlage oder weist sie für den konkreten Fall Lücken auf, so muss bei der Kollision mehrerer Rechtsordnungen festgestellt werden, welche Rechtsnormen auf den Vertrag anwendbar sind. An dieser Stelle tritt das internationale Vertragsrecht auf den Plan. Es handelt sich dabei nicht um Rechtsnormen, die den Rechtsfall selbst bewerten, sondern um Kollisionsnormen, die darüber entscheiden, welcher Rechtsordnung ein bestimmter Vertrag unterliegt. Beim internationalen Vertragsrecht handelt es sich also genauer gesagt um das internationale Vertragskollisionsrecht.

1.2 Rechtsquellen des internationalen Vertragsrechts

Auf dem Gebiet der Europäischen Union regelt die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17. 6. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO), welche Rechtsordnung auf grenzüberschreitende Verträge Anwendung findet. Mit der Rom I-VO reagierte der europäische Gesetzgeber auf die sich aus den teils deutlichen Unterschieden im Kollisionsrecht der Mitgliedsstaaten ergebenen Rechtsunsicherheiten und vereinheitlichte das Vertragskollisionsrecht auf EU-Ebene.[1] Für innerhalb und mit Parteien aus der Europäischen Union geschlossene grenzüberschreitende Verträge stellt die Rom I-VO somit die wichtigste Quelle des internationalen Vertragsrechts dar, weswegen sie Kernpunkt der Ausführungen dieses Buches sein wird.

Die Rom I-VO löst damit die bisher in Art. 27 - 37 aF des Einführungsgesetzes zum BGB (EGBGB) kodifizierten Regelungen ab, die auf dem römischen EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von 1980 (EVÜ) beruhten und am 01.09.1986 vom deutschen Gesetzgeber mit geringfügigen Änderungen übernommen wurden.[2] Durch das Inkrafttreten der Rom I-VO am 17.12.2009 haben die Art. 27 - 37 aF EGBGB mittlerweile einen Großteil ihrer Bedeutung verloren, da gem. Art. 28 Rom I-VO auf alle grenzüberschreitenden Verträge, die ab diesem Zeitpunkt geschlossen wurden ausschließlich die Rom I-VO anzuwenden ist. Für alle vom 01.09.1986 bis einschließlich 16.12.2009 geschlossenen Verträge gelten jedoch weiterhin die Art. 27 - 37 aF.[3] Ältere Verträge werden gem. Art. 220 Abs. 1 EGBGB nach dem zu dieser Zeit geltenden Richter- und Gewohnheitsrecht beurteilt,[4] Verträge mit Bezug zur ehemaligen DDR nach dem Rechtsanwendungsgesetz der DDR (RAG).[5]

2 Anwendungsbereich

2.1 Grundsätzliches

Der Anwendungsbereich der Rom I-VO ist eröffnet, sobald die dort ausgewiesenen sachlichen, räumlichen und zeitlichen Voraussetzungen vorliegen. An die Rechtspersönlichkeit der betroffenen Parteien werden jedoch keine Voraussetzungen geknüpft.[6] Es ist also unerheblich, ob es sich bei den betroffenen Parteien um natürliche oder juristische Personen oder Personengesellschaften handelt.
Liegen die in diesem Kapitel beschriebenen sachlichen, räumlichen und zeitlichen Voraussetzungen vor, so wird das auf den Vertrag anzuwendende Recht (Vertragsstatut) durch die Vorschriften der Rom I-VO bestimmt. Dadurch entfaltet das Vertragsstatut Relevanz für alle grundlegenden rechtlichen Fragen bei der Vertragsgestaltung, einschließlich Fragestellungen bzgl.:

  • Dem Zustandekommen von Verträgen,
  • Ihrer Wirksamkeit,
  • Ihrer Auslegung,
  • Ihrer Erfüllung und Nichterfüllung,
  • Ihres Erlöschens,
  • Ihrer Verjährung, und
  • Den Rechtsfolgen Ihrer Nichtigkeit.


[1] MüKoBGB/Martiny, 7. Auflage 2018, Rom I-VO Art. 1 Rn 1.

[2] Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 4. Auflage 2010, Rn 5.

[3] Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 4. Auflage 2010, Rn 6.

[4] BeckOK BGB/Spickhoff, 44. Ed. 1.11.2017, VO (EG) 593/2008 Art. 1 Rn 1, 4.

[5] BeckOK BGB/Spickhoff, 44. Ed. 1.11.2017, VO (EG) 593/2008 Art. 1 Rn 6.

[6] BeckOGK/Kindler, 1.04.2017, Rom I-VO Art. 1 Rn. 27.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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