Verkehrsordnungswidrigkeiten – Teil 06 – Rechte als Betroffener

3.4.2 Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht

Ist man mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht einverstanden, kann man unter bestimmten Voraussetzungen die sogenannte Rechtsbeschwerde einlegen. Die Folge ist dann ein Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht.

3.4.2.1 Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde

Für die Rechtsbeschwerde müssen besondere Voraussetzungen vorliegen, denn nicht alle Entscheidungen des Amtsgerichts sind angreifbar.

Ob man eine Entscheidung angreifen kann oder nicht, wird insbesondere von dem Strafmaß der Verurteilung abhängig gemacht: Also nach dem Umfang der Rechtsfolgen und der Höhe des Bußgelds. Gerade bei Verurteilungen zu geringen Bußgeldern ist eine Rechtsbeschwerde meist nicht zulässig. Hier wird von dem Gesetz nach § 79 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 OWiG mindestens die Verurteilung zu einer Geldbuße von über 250 Euro oder zu einer Nebenfolge wie z.B. einem Fahrverbot, gefordert, um eine Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Daneben gibt es allerdings noch zwei weitere Möglichkeiten für den Betroffenen eine Rechtsbeschwerde einzulegen:

  • Bei einer Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid durch Urteil als unzulässig, § 79 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 OWiG.
  • Wenn die Nachprüfung des Urteils zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 80 Absatz 1 Satz 1 OWiG) und dazu ein besonderer Zulassungsantrag nach § 79 Absatz 1 Satz 2 OWiG gestellt wird.

Liegt einer dieser Fälle des § 79 Absatz 1 OWiG vor, hat der Betroffene die Möglichkeit sich gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zu wehren. Anderenfalls hat man als Betroffener keinerlei Möglichkeit mehr gegen das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts vorzugehen.

3.4.2.2 Einlegungsfrist und Begründungsfrist

Die Rechtsbeschwerde ist binnen 1 Woche nach der Verkündung des Urteils oder der Zustellung des Beschlusses schriftlich beim Amtsgericht einzulegen § 79 Absatz 4 OWiG. Ist das Urteil beim Amtsgericht in Abwesenheit des Betroffenen oder dessen Vertreters erfolgt, kommt es auf den Tag der Zustellung der Entscheidung an. Innerhalb eines Monats nach Ablauf dieser Einlegungsfrist ist die Rechtsbeschwerde schriftlich zu begründen.

Beispiel
Der Autofahrer A wurde mit amtsgerichtlichem Urteil wegen wiederholten Geschwindigkeitsverstößen und Alkohol am Steuer zu einem Bußgeld von 1.000,00 € und drei Monaten Fahrverbot verurteilt. Die Urteilsverkündung erfolgte in der Hauptverhandlung am Dienstag, dem 03.04.2018. A war von seiner Anwesenheitspflicht entbunden und nur sein Verteidiger anwesend.

  • Abzustellen ist hier auf den Tag der Verkündung der Entscheidung und nicht auf den Tag der Zustellung, da der Verteidiger des A in der Hauptverhandlung anwesend war. Daher hat A für die Einlegung der Rechtbeschwerde bis zum 10.04.2018 um 24.00 Uhr Zeit. Die Begründung muss bis zum 11.05.2018 um 24.00 Uhr bei dem Amtsgericht eingehen. Die Monatsfrist verlängert sich um eine Tag, da am eigentlichen Tag des Fristablaufs, am 10.05.2018, ein gesetzlicher Feiertag (Christi Himmelfahrt) ist.

3.4.2.3 Entscheidung des Gerichts

Das Beschwerdegericht entscheidet regelmäßig durch Beschluss. Richtet sich die Rechtsbeschwerde allerdings gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht nach § 79 Absatz 5 OWiG auch auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.
Dabei hat das OLG immer zwei Möglichkeiten: Es kann die Rechtsbeschwerde verwerfen oder die angegriffene Entscheidung aufheben. Im letzteren Fall kann das Beschwerdegericht dann nach § 79 Absatz 5 OWiG entweder selbst in der Sache eine neue Entscheidung fällen oder die Sache an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.

3.5 Rechte als Betroffener während des Verfahrens

Während des gesamten Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat man als Betroffener Rechte, die man am besten von Anfang an in Anspruch nimmt.

Besonders wichtig sind dabei:

  • das Schweigerecht (vgl. hierzu Punkt 3.5.1)
  • das Recht zur Akteneinsicht (vgl. hierzu Punkt 3.5.2) und
  • das Recht auf einen Verteidiger (vgl. hierzu oben Punkt 3.4.1.2.3)

3.5.1 Schweigerecht

Eines der wichtigsten Rechte eines Betroffenen im Ordnungswidrigkeitsverfahren ist das Schweigerecht. Das gilt bereits vor Einleitung eines Verfahrens und gibt dem Betroffenen, das Recht zum Tatvorwurf zu schweigen. Man muss lediglich Angaben zu seinen Personalien machen. Man darf sich also immer äußern, muss es aber nicht und hat auch keinesfalls vor Gericht die Verpflichtung an der Aufklärung mitzuwirken. Gerade dann, wenn man die genaue Beweislage nicht kennt, sollte man daher immer vorziehen erstmal zu schweigen, bevor man sich selbst belastet.

3.5.2 Recht zur Akteneinsicht

Das zweite mindestens genauso wichtige Recht ist die Möglichkeit Einsicht in die eigene Bußgeldakte zu nehmen. Mit dieser Akteneinsicht erhält man Einblick in alle Unterlagen, die der Verfolgungsbehörde zu der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit vorliegen. So sieht man auch welche Beweise vorliegen.

Vorausgesetzt ist nach § 49 OWiG lediglich, dass keine schutzwürdigen Interessen Dritter entgegenstehen. Dann erhält man auf Antrag die Möglichkeit bei der Behörde oder der nächsten Polizeidienststelle die Akte unter Aufsicht einzusehen. Je nach Einzelfall kann man sich auch eine Abschrift machen.

Ausgehändigt wird dem Betroffenen die Akte allerdings nicht. Nur der Verteidiger des Betroffenen hat das Recht sich die Akte nach § 406 e StPO zur Einsicht zuschicken zu lassen, um den Inhalt zu prüfen und sich Kopien zu machen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Ordnungswidrigkeiten im Verkehr“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Kristin Nözel, Volljuristin Dipl. jur. (Univ.), juristisch Fachautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-84-7.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Michael Kaiser, Rechtsanwalt

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Rechtsanwalt Michael Kaiser berät auf den Gebieten des zivilen Verkehrsrechts (insbesondere bei Verkehrsunfällen) und im Bereich Verkehrsordnungswidrigkeiten und im Verkehrsstrafrecht.

Der besondere Schwerpunkt von Michael Kaiser liegt im Bereich der Fahrverbote und Führerscheinentzugsverfahren. Er vertritt Betroffene mit dem Ziel, den Führerscheinentzug zu vermeiden, sei es wegen Fehlern im Messverfahren, Fehlern der Beschilderung oder beruflichen Umständen, die den Führerscheinentzug zu einer besonderen Härte machen würden, so dass eine erhöhte Geldstrafe den Führerscheinentzug entfallen lassen kann.

Rechtsanwalt Kaiser ist seit vielen Jahren im gesamten Verkehrsrecht tätig. Er berät und vertritt bei Verkehrsunfällen und übernimmt alle notwendige Korrespondenz mit Versicherungen, Gutachtern, Zeugen und Polizei. Er macht nicht nur den Fahrzeugschaden für Sie geltend, sondern prüft alle denkbaren Ansprüche, vom Verdienstausfall über Schmerzensgeld und Schadensersatz bis zum Ersatz von Mietwagenkosten, Urlaubsverlust bis hin zum Wertverlust bei Fahrzeugen aufgrund von Reparaturen. Er prüft Versicherungsrückstufungen und verhandelt mit Versicherungen über angemessene Entschädigungen.

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