Verkehrsordnungswidrigkeiten – Teil 05 – Gerichtliches Verfahren

3.4 Gerichtliches Verfahren

Das gerichtliche Verfahren bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr durchläuft maximal zwei Instanzen. Das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht und das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht.

3.4.1 Hauptverfahren vor dem Amtsgericht

Das Hauptverfahren über eine Ordnungswidrigkeit findet immer bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht statt. Hier gibt es zwei Varianten, wie das Verfahren ablaufen kann. Entweder als Beschlussverfahren ohne Hauptverhandlung oder als normales Urteilsverfahren mit Hauptverhandlung. In beiden Alternativen ergeht am Ende des Hauptverfahrens eine Entscheidung des Gerichts, das je nach Verfahrensergebnis eine Einstellung, eine Verurteilung oder einen Freispruch ausspricht.

3.4.1.1 Beschlussverfahren ohne Hauptverhandlung

Der Richter kann das Bußgeldverfahren ohne Hauptverhandlung in dem sogenannten Beschlussverfahren abschließen. Vorausgesetzt ist dafür, dass er dies den Verfahrensbeteiligten ankündigt und diese nicht innerhalb von zwei Wochen widersprechen.

Bei einem Beschlussverfahren wird über den Bußgeldbescheid und den Einspruch nach der sogenannten Aktenlage entschieden. Das bedeutet, all das was sich in der Gerichtsakte des Richters befindet, dient als Entscheidungsgrundlage: Der Bußgeldbescheid, die Einspruchsbegründung, die Beweise der Ordnungsbehörde und des Betroffenen, Aussagen von Polizeibeamten oder Sachverständigengutachten. Daher eignet sich das Beschlussverfahren nur für Fälle, in denen das Gericht eine Verhandlung aufgrund einer eindeutigen Beweislage nicht für erforderlich hält.

Vorteilhaft ist bei einem solchen Verfahren, nicht nur dass man als Betroffener nicht zu einem Verhandlungstermin erscheinen muss, sondern auch, dass der Richter die bereits festgesetzten Rechtsfolgen in dem Bußgeldbescheid nicht verschlechtern darf. Das bedeutet, er ist bei seiner Entscheidung insoweit begrenzt ist, als dass er die Rechtsfolgen in dem Bußgeldbescheid nicht neu festsetzen darf. Nach § 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG darf das Gericht in einem Beschlussverfahren nämlich nicht zum Nachteil des Betroffenen von den im Bußgeldbescheid festgesetzten Rechtsfolgen abweichen. Es besteht also kein Risiko, dass eine höhere Geldbuße festgesetzt wird oder noch ein Fahrverbot angeordnet wird, wenn das nicht schon im Bußgeldbescheid enthalten ist. Eine Ausnahme ist nur in den Fällen erlaubt, in denen zum Beispiel von einem Fahrverbot, dass im Bußgeldbescheid angeordnet wurde abgesehen wird. Dann darf das festgesetzte Bußgeld auch etwas erhöht werden, da sich insgesamt keine Verschlechterung für den Betroffenen ergibt.

Ein Nachteil dieses Verfahrens ist allerdings, dass der Betroffene eine Entscheidung im Beschlussverfahren in den meisten Fällen nicht mit einer Rechtsbeschwerde angreifen kann. Das gilt insbesondere für Fälle, in denen weder ein Fahrverbot noch ein Bußgeld über 250,00 € festgesetzt wurde.

3.4.1.2 Mit Hauptverhandlung

Wird für das Bußgeldverfahren eine Hauptverhandlung anberaumt, dann wird diese in der Regel genauso durchgeführt, wie eine strafgerichtliche Verhandlung. Die Entscheidung des Gerichts muss allerdings hier - im Unterschied zum Beschlussverfahren - auf den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung beruhen. Eine Bindung an die Rechtsfolgen aus dem Bußgeldbescheid gibt es hier nicht. Der Betroffene kann also nach der Hauptverhandlung im Vergleich zum Bußgeldbescheid auch schlechter dastehen.
Für die Durchführung der Hauptverhandlung gelten grundsätzlich die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO). Nur in bestimmten Bereichen gelten besondere Bestimmungen des OWiG für das Verfahren. Dazu zählen insbesondere die Regelungen zur Anwesenheitspflicht des Betroffenen (§§ 73, 74 OWiG), zur Beweisaufnahme (§§ 77ff. OWiG) und zur Verteidigung (§§ 60, 46 Absatz 1 OWiG) im Ordnungswidrigkeitenverfahren.

3.4.1.2.1 Anwesenheitspflicht des Betroffenen

In der Hauptverhandlung hat der Betroffene anwesend zu sein, § 73 Absatz 1 OWiG. Anderenfalls kann die Hauptverhandlung nicht stattfinden und das Gericht verwirft den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Absatz 2 OWiG ohne zur Sache zu verhandeln (OLG Bamberg, Beschluss vom 3.9.2012, Az. Ss OWi 1425/12). Seitens der Staatsanwaltschaft oder der Ordnungsbehörde gibt es keine Anwesenheitspflicht.

Als Betroffener kann man sich allerdings auf Antrag von der Anwesenheitspflicht entbinden lassen: Dann kann die Hauptverhandlung auch ohne die eigene Anwesenheit durchgeführt und zur Sache verhandelt werden. Das gilt sogar für die Fälle in denen man keinen Verteidiger hat.

Ist man allerdings nicht von seiner Anwesenheitspflicht entbunden und kann an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen, braucht man einen ausreichenden Entschuldigungsgrund, damit der Einspruch nicht ohne Verhandlung verworfen wird (OLG Zweibrücken, 19.01.2018 - 1 OWi 2 Ss Bs 84/17).

3.4.1.2.2 Beweisaufnahme

Bei der Beweisaufnahme ermittelt das Gericht den wahren Sachverhalt zu der im Raum stehenden Verkehrsordnungswidrigkeit.

Dazu sind zum Beispiel

  • Zeugen anzuhören,
  • Beweismitteln in Augenschein zu nehmen,
  • Sachverständige anzuhören oder Sachverständigengutachten zu verlesen,
  • Urkunden, Zeugenaussagen zu verlesen,
  • schriftliche Stellungnahmen des Betroffenen zu verlesen.

Der Umfang der Beweisaufnahme hängt dabei von der Bedeutung der Sache ab (§ 77 Absatz 1 Satz 2 OWiG). Das bedeutet, bei einer geringfügigen Sache muss das Gericht nicht zwangsläufig jede nur denkbare Nachweis- und Erkenntnismöglichkeit zur Wahrheitsfindung heranziehen, solange es seiner allgemeinen Aufklärungspflicht nachkommt. Das Gericht darf Beweisanträge auch ablehnen, wenn es eine bestimmte Beweiserhebung nicht mehr als erforderlich ansieht, um die Wahrheit herauszufinden.

Daneben hat das Gericht auch die Möglichkeit die Beweisaufnahme abzukürzen, wenn die anwesenden Beteiligten, also der Betroffene, der Verteidiger und der Staatsanwaltschaft zustimmen (§ 77a Absatz 4 Satz 1 OWiG). Dann wird eine sogenannte vereinfachte Beweisaufnahme durchgeführt: Hier kann zum Beispiel von der Vernehmung bestimmter Zeugen, Sachverständigen oder Mitbetroffenen abgesehen werden, wenn diese bereits früher vernommen worden sind oder sich schriftlich geäußert haben. Die Verlesung der entsprechenden Schriftstücke reicht dann aus (§ 77a Absatz 1 OWiG). Außerdem dürfen behördliche Erklärungen über dienstliche Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse fernmündlich oder schriftlich eingeholt und deren wesentlichen Inhalt in der Hauptverhandlung bekanntgeben werden (§ 77a Absatz 2 und 3 OWiG).

3.4.1.2.3 Verteidigung

In der Hauptverhandlung hat man als Betroffener natürlich das Recht sich anwaltlich vertreten zu lassen. Genauso wie im Strafverfahren kann man für seine Verteidigung einen bis maximal drei Verteidiger zur Verteidigung im Bußgeldverfahren beauftragen.

Es ist außerdem möglich, dass man als Betroffener einen Pflichtverteidiger erhält, wenn man keinen eigenen Verteidiger beauftragt hat. Das kann sogar bereits vor einer gerichtlichen Verhandlung der Fall sein. Entscheidend ist, dass wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist oder sich der Betroffene ersichtlich nicht selbst verteidigen kann. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfolgt dann durch das Gericht – oder im Vorverfahren bereits durch die Verwaltungsbehörde (§ 140 Absatz 2 Satz 1 StPO, §§ 60, 46 Absatz 1 OWiG). Wird das Verfahren eingestellt oder ergeht ein Freispruch trägt am Ende die Staatskasse die Kosten des Pflichtverteidigers. Ergeht ein Urteil muss man als Betroffener die Kosten der Pflichtverteidigung tragen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Ordnungswidrigkeiten im Verkehr“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Kristin Nözel, Volljuristin Dipl. jur. (Univ.), juristisch Fachautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-84-7.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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