Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 26 – Abmahnung besonderer Personengruppen

6.1.9 Abmahnung auf einen Verdacht hin

Es ist möglich, einem Arbeitnehmer gegenüber eine Kündigung auszusprechen, weil gegen ihn der dringende Verdacht einer schweren Pflichtverletzung besteht. Dieser dringende Verdacht ist der "wichtige Grund", der für eine außerordentliche Kündigung notwendig ist. Man spricht in diesem Fall von einer sognannten "Verdachtskündigung" (im Gegensatz zur "Tatkündigung", die auf einem bewiesenen Handeln des Gekündigten basiert; Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1968 ff.). Im Einzelfall ist laut Rechtsprechung des BAG jedoch auch hier eine Abmahnung notwendig, bevor die Verdachtskündigung ausgesprochen werden kann (BAG 12. 2. 2015 - 6 AZR 845/13 = AP BBiG § 22 Nr.1.). Insbesondere fällt es hierbei ins Gewicht, wenn das Arbeitsverhältnis schon seit vielen Jahren ungestört besteht und die angenommene Pflichtverletzung lediglich Sachen von geringem Wert betrifft. Man spricht von einer "Verdachtsabmahnung" (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1971.).

6.2 Abmahnung besonderer Personengruppen

6.2.1 Leitende Angestellte

Für leitende Angestellte gelten bezüglich Abmahnung und Kündigung die gleichen Grundsätze wie für alle anderen Angestellten. Somit ist auch vor einer Kündigung eines solchen leitenden Angestellten grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich (BAG 27.02.1985 - 7 AZR 525/83; BAG 19.04.2012 - 2 AZR 186/11 = AP KSchG 1969 § 14 Nr.13.).

6.2.2 Mitglieder des Betriebsrats

Auch für Mitglieder des Betriebsrats gelten die gleich Grundsätze, sodass auch sie abgemahnt werden können und - sofern eine Kündigung folgen soll - grundsätzlich auch müssen. Es muss jedoch strikt zwischen ihrer Stellung als "normale" Arbeitnehmer, und der als Mitglied des Betriebsrats unterschieden werden.
Als reguläre Arbeitnehmer kann eine Abmahnung gegen sie ergehen - allerdings kann sich eine solche auch nur auf Verstöße gegen den Arbeitsvertrag stützen (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1982 ff; Eckert in: DStR 1995, 698 (698 ff.); BAG 31.08.1994 - 7 AZR 893/93 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr.98 = NZA 1995, 225.). In der Stellung als Mitglied des Betriebsrats kann der Arbeitnehmer zwar wegen Verletzung einer Amtspflicht zur Rechenschaft gezogen werden, allerdings ist der richtige Weg hierfür nicht die Abmahnung, sondern die "betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung" bzw. ein Ausschluss- oder Auflösungsverfahren (vgl. Unterpunkt 7.1.4.). Es bleibt also festzuhalten, dass eine Abmahnung immer auf der Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht beruhen muss. Unter diesen Umständen kann sie auch gegen ein Mitglied des Betriebsrats ergehen.
Verletzt ein Betriebsratsmitglied mit ein und demselben Verhalten gleichzeitig eine arbeitsvertragliche, als auch eine Amtspflicht, so kann gleichwohl eine Abmahnung ergehen. In der Abmahnung erwähnt werden darf jedoch nur der Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten (BAG 31.08.1994 - 7 AZR 893/93 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr.98 = NZA 1995, 225.).

Beispiel
Arbeitnehmer N ist Mitglied des Betriebsrats. Eines Tages bleibt er unentschuldigt der Arbeit fern. Sein Arbeitgeber G möchte N gegenüber gerne eine Abmahnung aussprechen. N jedoch protestiert und beruft sich auf seine Stellung als Betriebsratsmitglied.

  • Dass N Mitglied des Betriebsrats ist, hindert eine wirksame Abmahnung nicht. Grundsätzlich sind nämlich auch Betriebsratsmitglieder "normale" Arbeitnehmer. Wegen Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsvertrag kann eine Abmahnung gegen sie ergehen wie gegen jeden anderen. Lediglich wegen ihrer Amtspflichten innerhalb des Betriebsrats ist dies nicht möglich. Vorliegend hat N jedoch durch sein unentschuldigtes Fehlen eindeutig eine Pflicht aus seinem Arbeitsvertrag verletzt, wie sie auch jeden anderen Arbeitnehmer trifft. Daher kann G dem B gegenüber problemlos eine Abmahnung aussprechen.

6.2.3 Schwerbehinderte Menschen und Gleichgestellte

Im Hinblick auf schwerbehinderte Menschen und ihnen Gleichgestellte gelten für die Abmahnung einige Besonderheiten (vgl. Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1992 ff.).
Zunächst ist vor einer Abmahnung die Schwerbehindertenvertretung - sofern eine solche für den Betrieb gewählt wurde - zu informieren und anzuhören. Lediglich in Fällen, in denen die Angelegenheit die Belange schwerbehinderter Arbeitnehmer in genau der gleichen Art und Wiese berührt wie die Belange nicht behinderter Beschäftigte, entfällt dieses Beteiligungsrecht (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1995; vgl. BAG 17.08.2010 - 9 ABR 83/09 = AP SGB IX § 95 Nr. 3.).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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  • Kündigungen
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  • Lohn- und Gehaltsansprüche
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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
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