Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 25 – Gemeinschaftsweite Bedeutung eines Zusammenschlusses, Abgrenzung des relevanten Marktes, Untersagung und Freigabe von Zusammenschlüssen


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


7.1.2 Gemeinschaftsweite Bedeutung eines Zusammenschlusses (Art. 1 FKVO)

Ein Zusammenschluss im Sinne des Art. 3 FKVO wird nur dann vom Anwendungsbereich der europäischen Zusammenschlusskontrolle erfasst, wenn er gem. Art. 1 FKVO gemeinschaftsweite Bedeutung hat.

7.1.2.1 Schwellenwert

Gemeinschaftsweite Bedeutung erlangt ein Zusammenschluss, wenn er die Schwellenwerte des Art. 1 FKVO erreicht. Hierbei wird zwischen dem Regelfall, der gemeinschaftsweiten Bedeutung aufgrund absoluter Größe (Art. 1 Abs. 2 FKVO) und der gemeinschaftsweiten Bedeutung aufgrund Auswirkungen in mehreren Mitgliedstaaten (Art. 1 Abs. 3 FKVO) unterschieden.

Nach Art. 1 Abs. 2 FKVO ist der Schwellenwert dann erreicht, wenn der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen mehr als 5 Mrd. Euro und der unionsweite Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen mehr als 250 Mio. Euro beträgt. Zusätzlich muss noch nach der sog. Zweidrittelklausel hinzukommen, dass die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als ein Drittel ihres unionsweiten Gesamtumsatzes in verschiedenen Mitgliedstaaten erzielen.

Art. 1 Abs. 3 FKVO regelt den Fall der Mehrfachanmeldung oder Mehrfachnotifizierung. Dabei handelt es sich um Zusammenschlüsse, die den Schwellenwert des Abs. 2 noch nicht erreicht haben, durch die allerdings mindestens drei Mitgliedstaaten betroffen sind. Die Voraussetzungen, damit auch solche Zusammenschlüsse vom Fusionskontrollverfahren erfasst sind, ist ein weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen von mehr als 2,5 Mrd. Euro, ein Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen in mindestens drei Mitgliedstaaten von jeweils mehr als 100 Mio. Euro sowie noch zwei Untergrenzen von 25 und 100 Mio. Euro. Auch die Zweidrittelklausel des Abs. 2 findet Anwendung.

7.1.2.2 Umsatzberechnung (Art. 5 FKVO)

Der Maßstab für die Berechnung des Umsatzes der an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen richtet sich nach Art. 5 FKVO:

  • Relevanz des gesamten Umsatzes im letzten Geschäftsjahr vor dem Transaktionstag (Art. 5 Abs. 1 S. 1 FKVO)
  • Abzug von Erlösschmälerungen und umsatzbezogenen Steuern (Art. 5 Abs. 1 S. 1 FKVO)
  • Berücksichtigung der Umsätze aller verbundenen Unternehmen (Art. 5 Abs. 4 FKVO)
  • Keine Berücksichtigung des Konzerninnenumsatzes (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 lit. a FKVO)
  • Zurechnung des Umsatzes eines Gemeinschaftsunternehmens zu gleichen Teilen zu den Muttergesellschaften (Art. 5 Abs. 5 lit. b. FKVO)

Weitere Einzelheiten zur Berechnung des Umsatzes finden sich der Mitteilung der Kommission von 2009.[1]

7.1.3 Abgrenzung des relevanten Marktes

Im Voraus der Überprüfung der Auswirkungen auf den Wettbewerb, die ein Zusammenschlussvorhaben haben können, muss - wie stets - der relevante Markt sachlich, räumlich und ggfs. auch zeitlich abgegrenzt werden. Hier gelten allerdings die allgemeinen Kriterien zur Marktabgrenzung, sodass auf die vorherigen Erwägungen verwiesen werden kann.[2]

7.1.4 Untersagung und Freigabe von Zusammenschlüssen (Art. 2 FKVO)

Der Zusammenschluss wird untersagt, wenn zu erwarten ist, dass durch den angemeldeten Zusammenschluss wirksamer Wettbewerb behindert würde. Als Regelbeispiel nennt Art. 2 FKVO das Kriterium der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Ausgangspunkt für die Bestimmung der Marktbeherrschung sind die Marktanteile der Beteiligten, sodass in der Praxis der Höhe der Marktanteile der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen eine zentrale Bedeutung zukommt.

Auch wenn das Regelbeispiel erfüllt ist, kann ein Zusammenschluss freigegeben werden, wenn er zu Effizienzgewinnen führt, die die Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb, vor allem mögliche Schäden der Verbraucher, ausgleichen. Hierbei wird zwischen produktiven (optimale Allokation der Produktionsfaktoren im Unternehmen), allokativen (gesamtwirtschaftlich optimale Allokation der Ressourcen) und dynamischen (Einbeziehungen des technischen Fortschritts) Effizienten unterschieden. In der Praxis spielt diese sog. "Efficiency Defence" allerdings keine große Rolle, da hohe Anforderungen an den Nachweis von Effizienzgewinnen gestellt werden.

7.1.4.1 Marktbeherrschung

Die FKVO enthält keine ausdrücklichen Vermutungsregeln, ab welchem Marktanteil Marktbeherrschung anzunehmen ist. In der Entscheidungspraxis der Kommission können allein Marktanteile von 50 % oder mehr das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung begründen. Ist ein solch hoher Marktanteil nicht erreicht, wird Marktbeherrschung regelmäßig nur dann angenommen, wenn weitere Umstände hinzutreten, an denen die besondere Machtstellung deutlich wird. Dies kommt dann in Betracht, wenn z.B. keine anderen größeren Wettbewerber existieren oder ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis der Marktgegenseite besteht.[3]


[1] Kommission, Mitteilung von 2009, Tz. 124 ff.

[2] S. Kapitel 3, 3.2, 3.3.

[3] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 16 Rn. 23.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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