Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage – Teil 20 – Kündigung nach dem 58. Lebensjahr, Witterungsgründe, Fehlender Nachweis

7.1.2.3 Kündigung nach dem 58. Lebensjahr

Ausgenommen sind gem. § 90 I Nr. 3 SGB IX außerdem schwerbehinderte Personen, sofern sie

  • das 58. Lebensjahr vollendet haben und Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistungen aufgrund eines Sozialplanes haben, oder
  • Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistungen nach dem SGB VI oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus haben,

wenn der Arbeitgeber ihnen die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitteilt und die Betroffenen der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widerspricht.
Der präventive Kündigungsschutz soll den Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken. Dies ist nicht mehr erforderlich, wenn der schwerbehinderte Mensch durch z.B. einen Sozialplan abgesichert ist.[1] Ob der Betroffene abgesichert ist, hängt von seiner eigenen Einschätzung ab, ansonsten kann er bis zum Ausspruch der Kündigung widersprechen.[2] Dies ist sowohl formlos, als auch fristlos möglich. Die einzige Voraussetzung für den Widerspruch ist, dass er vor Zugang der Kündigung geschehen muss.[3]

7.1.2.4 Witterungsgründe

Des Weiteren bedarf es keiner Zustimmung durch das Integrationsamt, wenn die Kündigung aus Witterungsgründen resultiert, sofern die Wiedereinstellung der schwerbehinderten Menschen bei Wiederaufnahme der Arbeit gewährleistet ist, vgl. § 90 II SGB IX.
Witterungsgründe stellen nach § 101 VI SGB III atmosphärische Einwirkungen dar, die die Fortführung der Arbeiten trotz einfacher Schutzvorkehrungen technisch unmöglich oder wirtschaftlich unvertretbar oder den Arbeitnehmern unzumutbar machen.
Die Wiedereinstellung ist insbesondere bei tarif- oder einzelvertraglichen Verpflichtungen gewährleistet.[4] Wird der schwerbehinderte Mensch trotz des Vorliegens der Voraussetzungen nicht wieder eingestellt, kann er auf Wiedereinstellung vor dem Arbeitsgericht klagen.[5]

7.1.2.5 Fehlender Nachweis

Weiter vom Geltungsbereich ausgeschlossen sind nach § 90 IIa SGB IX Personen, bei denen die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung nicht nachgewiesen ist.
Daraus folgt, dass der Arbeitgeber nur auf die Zustimmung durch das Integrationsamt angewiesen ist, wenn

  • Der Arbeitnehmer bereits als schwerbehindert anerkannt ist,
  • Die Schwerbehinderung auch ohne einen entsprechenden Nachweis offenkundig ist[6],
  • Der Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten nach § 2 III SGB IX gleichgestellt ist[7], oder
  • der Antrag auf Anerkennung oder Gleichstellung mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt wurde[8].

Dabei ist nicht erforderlich, dass der gestellte Antrag bereits beschieden wurde. Es reicht, dass der Antrag drei Wochen vorher gestellt wurde und die Behinderung zu diesem Zeitpunkt bereits vorlag. Die Versorgungsbehörde würde folglich dem Antrag rückwirkend stattgeben.[9]

Beispiel:
Ludwig ist infolge seiner Behinderung schwer beeinträchtigt. Er stellt nun den Antrag für die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft bei der zuständigen Behörde. Die Schwerbehinderung liegt objektiv vor, ist aber nicht offenkundig ersichtlich. Einige Tage später erhält Ludwig die Kündigung von seinem Arbeitgeber Schmidt.

  • Die Behinderung von Ludwig war nicht offenkundig ersichtlich. Weiter fehlte zum Zeitpunkt der Kündigung der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft. Ludwig war einem Schwerbehinderten ebenfalls nicht nach § 2 III SGB IX gleichgestellt. Schmidt würde somit nicht die Zustimmung des Integrationsamtes brauchen. Allerdings hatte Ludwig den Antrag auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bereits bei der zuständigen Behörde gestellt. Dabei ist es unerheblich, dass seine Schwerbehinderung nicht offenkundig war.[10] Da die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung vorlag wird die Behörde diesem Antrag rückwirkend für den Zeitraum der Kündigung stattgeben. Ludwig fällt demnach doch in den Geltungsbereich des § 85 SGB IX und Schmidt benötigt die Zustimmung des Integrationsamtes.


[1] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Fiebig/Osnabrügge, §§ 85-92 SGB IX, Rn. 9.

[2] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Fiebig/Osnabrügge, §§ 85-92 SGB IX, Rn. 9.

[3] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Fiebig/Osnabrügge, §§ 85-92 SGB IX, Rn. 9.

[4] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Fiebig/Osnabgrügge, §§ 85-92 SGB IX, Rn. 12.

[5] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Fiebig/Osnabrügge, §§ 85-92 SGB IX, Rn. 12.

[6] BAG 7.3.2002, NZA 2002, 1145.

[7] BAG 1.3.2007 NZA 2008, 302.

[8] BAG 1.3.2007, NZA 2008, 302 mit Bespr. Göttling/Neumann NZA-RR 2007, 281FF.; BAG 29.11.2007, NZA 2009, 361.

[9] Vgl. dazu BAG 20.1.2005, NZA 2005, 689.

[10] Vgl. BAG 28.6.1995, NZA 1996, 374.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Paulina Zoe Linke, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-76-2.


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Stand: Januar 2017


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt

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Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

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