Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 18 – Missbrauchsverbot des deutschen Kartellrechts


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


5.2 Missbrauchsverbot des deutschen Kartellrechts (§§ 19 -21 GWB)

Als wesentlichen Unterschied zum europäischen Kartellrecht erfasst das Missbrauchsverbot im deutschen Kartellrecht nicht nur Missbrauchsfälle von marktbeherrschenden Unternehmen, sondern auch schon Fälle unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle.

5.2.1 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB)

§ 19 GWB wendet sich gegen den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen im Sinne des § 18 GWB. § 18 GWB differenziert hinsichtlich der marktbeherrschenden Stellung eines einzelnen Unternehmens zwischen dem Vollmonopol (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB), dem Quasimonopol (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 GWB) und der überragenden Marktstellung (§ 18 Abs. 3 GWB). Hinzu kommt das markbeherrschende Oligopol mehrerer Unternehmen (§ 18 Abs. 5 GWB).

5.2.1.1 Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung gem. § 18 GWB

Ein Vollmonopol (Abs. 1 Nr. 1) liegt dabei vor, wenn Unternehmen, als Anbieter oder Nachfrager im relevanten Markt ohne Wettbewerber sind. Unterschieden werden kann zwischen rechtlichen (z.B. staatliche Verwaltungsmonopole) oder natürlichen (z.B. Unternehmen der Wasserversorgung) Vollmonopolen.

Quasimonopole (Abs. 1 Nr. 2) sind Unternehmen, die ihr Marktverhalten weitgehend autonom bestimmen, ohne auf Wettbewerber oder Abnehmer Rücksicht nehmen zu müssen. Die Beurteilung erfolgt anhand einer funktionalen Analyse der absoluten und relativen Marktanteile, des potentiellen und des Substitutionswettbewerbs sowie der Macht der Marktgegenseite.

Von einer überragenden Marktstellung (Abs. 1 Nr. 3) ist dann auszugehen, wenn ein Unternehmen im Vergleich mit seinen Wettbewerbern über einen besonders großen, vom Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrollierten einseitigen Verhaltensspielraum bei der Entwicklung von Marktstrategien oder dem Einsatz einzelner Aktionsparameter verfügt. Die Beurteilung erfolgt anhand einer umfassenden Würdigung der Marktverhältnisse unter Berücksichtigung der in Abs. 3 genannten Marktstrukturkriterien (insbesondere Marktanteil, Abstand zu Konkurrenten, Finanzkraft, Zugang zu Absatz- und Beschaffungsmärkten).

Eine Oligopolmarktbeherrschung (Abs. 5) liegt vor, wenn zunächst der Binnenwettbewerb, d.h. das ein Gruppenbewusstsein der Oligopolunternehmen von gleichgerichteten Interessen und wechselseitiger Abhängigkeit vorliegt und kein anderes Unternehmen eine markbeherrschende Stellung innehat. Hierbei ist zu beachten, das jedes Unternehmen, das dem marktbeherrschenden Oligopol angehört, auch allein marktbeherrschend im Sinne von § 18 Abs. 1 GWB ist.

5.2.1.2 Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung gem. § 18 Abs. 4, 6 GWB

Der Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung wird durch zwei Marktbeherrschungsvermutungen des § 18 Abs. 4 und Abs. 6 GWB erleichtert.
Von einer Einzelmarktbeherrschung, also der Vermutung eines Monopols wird nach § 18 Abs. 4 GWB dann ausgegangen, wenn ein Unternehmen einen Marktanteil von mehr als 40 % innehat.[1]

Bei der Vermutung für eine Gruppenmarktbeherrschung, also der Oligopolvermutung nach § 18 Abs. 6 GWB wird zunächst zwischen der Anzahl der Unternehmen unterschieden. Bei drei oder weniger Unternehmen wird ein Oligopol vermutet, wenn sie zusammen über einen Marktanteil in Höhe von mehr als 50 % verfügen. Sind fünf oder weniger Unternehmen beteiligt, wird von einer Beherrschung bei Vorliegen eines Marktanteils in Höhe von 66,66 % (zwei Drittel) ausgegangen.[2]

Die Vermutungen können allerdings auch widerlegt werden.
Die Monopolvermutung ist widerlegt, wenn das betreffende Unternehmen einem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist und keine überragende Marktstellung aufweist.[3]
Die Oligopolvermutung ist widerlegt, wenn im Innenverhältnis des Oligopols wesentlicher Wettbewerb strukturell gesichert fortbesteht oder wenn das Oligopol im Außenverhältnis einem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist und keine überragende Markstellung innehat.[4]

5.2.1.3 Missbrauchsverhalten

§ 19 Abs. 1 GWB untersagt das missbräuchliche Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung sowohl auf Anbieter-, als auch auf Nachfragerseite. § 19 Abs. 2 GWB enthält einen Katalog von Regelbeispielen, die das Missbrauchsverbot legal definieren. Diese entsprechend weitestgehend den Regelbeispielen des europäischen Missbrauchsverbots, sodass auf diese aufgrund der gebotenen Kürze der Zusammenfassung nicht näher eingegangen wird.


[1 Wagner-v. Papp, in: Bien, Das deutsche Kartellrecht nach der 8. GWB-Novelle, 2013, S. 95 (109 ff.).

[2] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 27 Rn. 54.

[3] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 27 Rn. 58.

[4] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 27 Rn. 59.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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