Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 04 – Das Kartellverbot


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


4 Das Kartellverbot

Das Kartellverbot umfasst jene Regelungen, die Wettbewerbsbeschränkungen durch eine Verhaltenskoordination zwischen selbstständigen Unternehmen untersagen. Es werden sowohl horizontale (z.B. Preisabsprachen zwischen Konkurrenten) als auch vertikale (z.B. Preisbindung der zweiten Hand) Formen der Koordination erfasst.

Das Kartellverbot gehört neben dem Missbrauchsverbot, das wettbewerbsbeschränkende Handlungen marktbeherrschender oder marktstarker Unternehmen ahndet (Art. 102 AEUV, §§ 18 ff. GWB) sowie der präventiven Kontrolle von geplanten Unternehmenszusammenschlüssen (FKVO, §§ 35 ff. GWB) zu den Säulen des europäischen und deutschen Kartellrechts.

4.1 Das Kartellverbot des europäischen Kartellrechts (Art. 101 AEUV)

Ziel des Kartellverbotes nach Art. 101 Abs. 1 AEUV ist es, die Handlungsfreiheit der Unternehmen auf dem relevanten Markt zu gewährleisten. Damit sind die Unternehmen nicht nur die Normadressaten, sondern auch die Schutzobjekte der Norm.

4.1.1 Normadressaten

Unternehmen und Unternehmensvereinigungen (nicht die handelnden natürlichen Personen) sind die Normadressaten des europäischen Kartellverbots. Der europarechtliche Unternehmensbegriff ist hierbei unabhängig von einem etwaigen unterschiedlichen deutschen Begriffsverständnis auszulegen.

4.1.1.1.1 Unternehmen

Im AEU-Vertrag selbst findet sich keine Definition zum Begriff des Unternehmens. In der Rechtsprechung hat sich allerdings eine allgemein gebräuchliche Definition entwickelt, die regelmäßig von der Kommission und den europäischen Gerichten angewandt wird.

Nach diesem sog. funktionalen Unternehmensbegriff ist unter einem Unternehmen jede, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung, zu verstehen.[1]
Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist dabei jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten oder nachzufragen.

Vom Unternehmensbegriff erfasst werden sowohl das potentielle als auch das aktuelle Unternehmen.
Bei einem potentiellen Unternehmen handelt es sich um eine unternehmerisch tätige Einheit, die bislang wirtschaftlich noch nicht auf dem relevanten Markt tätig ist, der Markteintritt allerdings potenziell, d.h. innerhalb kurzer Zeit und ohne Überwindung wesentlicher Hindernisse erfolgen kann.
Das aktuelle Unternehmen ist, im Gegensatz dazu, bereits wirtschaftlich auf dem relevanten Markt tätig.

Unternehmerische Tätigkeiten im Sinne des europäischen Kartellrechts sind vor allem vom privaten Verbrauch (z.B. private Vermögensverwaltung) und von rein hoheitlicher Tätigkeit (staatliches Handeln aber erfasst, wenn reine Beschaffungstätigkeit) abzugrenzen.[2]

4.1.1.1.2 Unternehmensvereinigungen

Bei einer Unternehmensvereinigung handelt es sich um eine Vereinigung mehrerer Unternehmen, deren Zweck darin besteht, die Interessen der Mitglieder wahrzunehmen.[3]
Eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit der Vereinigung am relevanten Markt ist nicht erforderlich.
Wie beim Unternehmensbegriff ist auch der Begriff der Unternehmensvereinigung weit auszulegen. Erforderlich ist allerdings ein Mindestmaß an gemeinschaftlicher Organisation.

Typische Beispiele für Unternehmensvereinigungen sind die einzelnen Arbeitgeberverbände oder die Kammern der freien Berufe.

4.1.1.1.3 Exkurs: Konzerne

Als ein Konzern wird die Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbstständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung bezeichnet. Dies entspricht der Legaldefinition des § 18 AktG. Hierbei ergibt sich aus wettbewerbsrechtlicher Sicht die Frage, ob einzelne Konzernunternehmen nicht nur mit dritten Unternehmen verbotene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen abschließen können[4], sondern auch untereinander, ob zum Beispiel Vereinbarungen zwischen einer Mutter- und einer Tochtergesellschaft oder zwischen verschiedenen Tochtergesellschaften desselben Konzerns unter das Verbot des Art. 101 AEUV fallen können. Grundsätzlich gelten die beteiligten Unternehmen als rechtlich eigenständig und können daher in den Anwendungsbereich des Art. 101 AEUV fallen.
Im Rahmen des sog. Konzernprivilegs wird hiervon allerdings in einzelnen Fällen und unter Bezugnahme des Begriffs des Unternehmens eine Ausnahme gemacht. So wird zum Teil argumentiert, dass es sich bei Konzernen um ein Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen Sinne handelt, wenn sie eine wirtschaftliche Einheit bilden. Zum Teil wird die Ausnahme aber auch damit begründet, dass bei einem Konzern ein tatsächlich bestehendes Wettbewerbsverhältnis fehlt.[5]

In der Regel stellen die Unionsorgane darauf ab, ob die verbundenen Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden. Ergänzend wird oftmals noch die fehlende Autonomie der Tochtergesellschaft betont.[6]
Das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit der verbundenen Unternehmen lässt sich an Hand der Umstände des Einzelfalls beurteilen. Für die EU-Kommission ist es insbesondere entscheidend, ob die fragliche Tochtergesellschaft gegenüber ihrer Muttergesellschaft über keine Entscheidungsautonomie mehr verfügt, so dass sie mit dieser nicht selbstständig in Wettbewerb treten kann.[7] Vereinfacht ausgedrückt, ist entscheidend, ob die Tochtergesellschaft unabhängig über ihr eigenes Verhalten am Markt bestimmen kann oder ob sie im Wesentlichen von den Weisungen ihrer Muttergesellschaft geleitet wird.

Eine Beurteilung erfolgt vornehmlich anhand der Höhe der Beteiligung der Muttergesellschaft sowie aufgrund ergänzender Umstände wie personelle Verflechtungen oder dem Abschluss von Unternehmensverträgen.[8]

Demnach unproblematisch ist der Fall dann, wenn die Muttergesellschaft 100% an der Tochtergesellschaft beteiligt ist. Ebenso wird eine qualifizierte Mehrheitsbeteiligung in der Regel für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit ausreichen.
Im Gegensatz dazu stehen bloße kapitalmäßige Verflechtungen zwischen den beteiligten Unternehmen, weil dadurch noch kein Konzern begründet wird.[9]
Bestehen Zweifel an der wirtschaftlichen Einheit wird darauf abgestellt, ob zwischen den Tochtergesellschaften tatsächlich ein Wettbewerb besteht, da jeder Wettbewerb, gleichgültig, wo er sich entfaltet, schutzwürdig ist.[10]

Als Folge des sog. Konzernprivilegs kann unter bestimmten Voraussetzungen das gegen die Regeln des Wettbewerbs verstoßende Verhalten eines Konzernunternehmens anderen Konzernunternehmen zugerechnet werden. Als Konsequenz daraus kann die Kommission bei Verstößen gegen den Wettbewerb Verbots- und Bußgeldbeschlüsse nach ihrer Wahl gegen ein oder mehrere Konzernunternehmen richten und vor allem eine Muttergesellschaft für die Verstöße ihrer Tochtergesellschaft haftbar machen, so dass die Beteiligten im Ergebnis gesamtschuldnerisch insbesondere für eine Geldbuße der Kommission haften müssen.[11]


[1] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 3 Rn. 24.

[2] Paal, in: Gersdorf/Paal, Beck’scher Online-Kommentar Informations- und Medienrecht, 12. Edition 2016, Art. 101 AEUV, Rn. 8-9.

[3] Paal, in: Gersdorf/Paal, Beck’scher Online-Kommentar Informations- und Medienrecht, 12. Edition 2016, Art. 101 AEUV, Rn. 10.

[4] EuGH Slg. 1979, 2435 (2475 f.) – BMW.

[5] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 3 Rn. 45.

[6] EuGH Slg. 1971, 949 – Béguelin; BGHZ 81, 282 (288 ff.) = NJW 1982, 1221 – Gema.

[7] Kommission, Entsch. v. 27.11.2002, ABl. 2004 Nr. L 38/18 (39 Tz. 203 f.) – Methyglukamin.

[8] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 3 Rn. 48.

[9] Kommission, Entsch. v. 2.8.1989, ABl. Nr. L 260/1 (37 Tz. 178) – Betonstahlmatten.

[10] Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 53.

[11] EuGH Slg. 2011, II-866 – Siemens.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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