Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 03 – Räumlicher Anwendungsbereich, Sachlicher, Anwendungsbereich, Abgrenzung des relevanten Marktes


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


3.2 Räumlicher Anwendungsbereich

Der räumliche Anwendungsbereich kennzeichnet das Territorium, auf welchem die Wettbewerbsregeln des AEU-Vertrages bzw. des GWB angewendet werden.

3.2.1 Räumlicher Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts

Die Wettbewerbsregeln des AEU-Vertrages gelten gemäß Art. 52 EUV für alle Unternehmen, die ihren Sitz in den EU-Mitgliedsstaaten haben. Sachverhalte mit exterritorialem Bezug, wie z.B. die Vereinbarung von Wettbewerbsbeschränkungen außerhalb des Gemeinschaftsgebietes mit Auswirkungen auf den Binnenmarkt, werden – je nach Auffassung – entweder durch das Auswirkungsprinzip oder durch ein Territorialprinzip erfasst.
Nach dem Auswirkungsprinzip ist das europäische Kartellrecht anwendbar, sobald und soweit eine wettbewerbsrelevante Maßnahme Auswirkungen innerhalb des Binnenmarktes zeigt. Geht man vom Auswirkungsprinzip aus, findet das europäische Kartellrecht umfassend Anwendung. Der Nachteil besteht in der Kollisionsgefahr mit Kartellrechten von Drittstaaten.

Nach dem Territorialprinzip ist das europäische Kartellrecht immer dann anwendbar, sobald und soweit ein Unternehmen durch Handlungen innerhalb der Union gegen die Verbotsnormen des AEU-Vertrages verstößt.(Fußnote)

3.2.2 Räumlicher Anwendungsbereich des deutschen Kartellrechts

Der räumliche Anwendungsbereich des deutschen Kartellrechts richtet sich nach der Regelung des § 130 Abs. 2 GWB. Dieser normiert ausdrücklich die Geltung des Auswirkungsprinzips. Danach ist das GWB, also das deutsche Kartellrecht, anwendbar, sobald und soweit eine wettbewerbsrelevante Maßnahme Auswirkungen innerhalb des deutschen Marktes zeigt.(Fußnote)

3.3 Sachlicher Anwendungsbereich

Das Kartellrecht gilt grundsätzlich für alle Wirtschaftsbereiche. Dieser Grundsatz erfährt Einschränkungen mit Blick auf das sektorale Kartellrecht und sog. Ausnahmebereiche.

3.4 Abgrenzung des relevanten Marktes

Von zentraler Bedeutung im europäischen und deutschen Kartellrecht ist die Abgrenzung des relevanten Marktes. Sie spielt so unter anderem im Rahmen des Kartellverbots bei der Beurteilung der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung, bei der Abgrenzung von aktuellem und potentiellem Wettbewerb, bei Anwendung der Zwischenstaatlichkeitsklausel sowie bei der Freistellung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen eine wichtige Rolle. Aber auch beim Missbrauchsverbot, bei der Ermittlung der marktbeherrschenden Stellung und im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle bei der Beurteilung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses ist die Abgrenzung des relevanten Marktes von entscheidender Bedeutung und Voraussetzung für die Überprüfung eines möglichen Verstoßes gegen das Kartellrecht.

Als Markt wird in der Theorie der Ort bezeichnet, wo Angebot und Nachfrage zusammentreffen und wo sich mehrere Anbieter um dieselben Kunden (sog. Angebotsmarkt) oder mehrere Nachfrager um dieselben Anbieter (sog. Nachfragemarkt) bemühen.(Fußnote) Der Markt kann sachlich, räumlich sowie in einzelnen Fällen zeitlich abgegrenzt werden. Im Ergebnis geht es bei der Abgrenzung des relevanten Marktes um die Ermittlung der auf dem Markt herrschenden Wettbewerbskräfte, denen sich die beteiligten Unternehmen stellen müssen.

3.4.1 Sachlich relevanter Markt

Die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes erfolgt sowohl im europäischen als auch im deutschen Kartellrecht anhand des sog. Bedarfsmarktkonzepts.(Fußnote)
Legt man dieses Konzept bei der Abgrenzung eines Angebotsmarktes zugrunde, so wird der sachlich relevante Markt grundsätzlich aus allen Produkten oder Dienstleistungen gebildet, die für die Marktgegenseite ohne Weiteres, also ohne besondere psychische oder physische Anpassungslasten austauschbar sind. Hierbei wird auf die Sicht eines vernünftigen, durchschnittlichen Käufers abgestellt, der sich bereits für eine bestimmte Ware oder Dienstleistung entschieden hat. Ausgehend von den wechselnden Präferenzen der Abnehmer, kann es dabei auf die unterschiedlichsten Merkmale ankommen. Maßgeblich sind vor allem die Eigenschaften der fraglichen Produkte oder Dienstleistungen, ihr Preis sowie ihr Verwendungszweck.
Waren oder Dienstleistungen, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften durch andere nur in geringem Maße oder zeitlich begrenzt ersetzt werden können, bilden einen eigenen Markt.(Fußnote)

Geht es um die sachliche Abgrenzung eines Nachfragemarktes sind grundsätzlich die gleichen Maßstäbe wie bei der Abgrenzung des Angebotsmarktes anzuwenden. Daher kommt es hierbei auf die Sicht der Marktgegenseite, diesmal der Anbieter, an. Alle Nachfrager und Produkte gehören demnach zu einem Markt, auf die die Anbieter ohne große Schwierigkeiten ausweichen können. Maßgeblich sind neben unterschiedlichen Vertriebswegen und Absatzmärkten auch unterschiedliche Produktionslinien.(Fußnote)

3.4.2 Räumlich relevanter Markt

Der räumlich relevante Markt umfasst dasjenige Gebiet, in dem die Marktgegenseite die sachlich relevanten Produkte oder Dienstleistungen anbietet oder nachfragt. Die Abgrenzung erfolgt vornehmlich an der Orientierung des Art. 9 Abs. 7 S. 1 FKVO, nach dem der räumlich relevante Referenzmarkt aus einem Gebiet besteht, auf dem die beteiligten Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen auftreten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten hinsichtlich der Wettbewerbsbedingungen unterscheidet.(Fußnote)
Folglich gehören zum räumlich relevanten Markt alle Unternehmen an unterschiedlichen Standorten, die für die Marktgegenseite als alternative Liefer- oder Bezugsquelle in Betracht kommen, so dass die Abnehmer ihre Nachfrage kurzfristig und mit geringen Kosten auf Unternehmen mit anderem Standort umlenken werden, wenn einzelne Anbieter ihre Preise erhöhen. Maßgeblich sind hierbei die Marktstruktur, die räumlichen Verhältnisse sowie tatsächliche und rechtliche Marktzutrittsschranken.(Fußnote)

3.4.3 Exkurs: SSNIP-Test (Small but Significant and Non-Transitory Increase in Price)

Der SSNIP-Test ist ein gedankliches Experiment zur Bestimmung des sachlich und räumlich relevanten Marktes. Er stammt aus dem amerikanischen Antitrustrecht. Es wird eine kleine, nicht nur vorübergehende Erhöhung des Preises (ca. 5 % - 10 %) für ein Produkt simuliert. Anschließend bewertet man das Ausweichverhalten der Marktgegenseite. Ist die Substitution so groß, dass eine Preiserhöhung durch den mit ihr verbundenen Absatzrückgang nicht mehr einträglich wäre, so werden in den sachlich und räumlich relevanten Markt solange zusätzliche Substitutionsprodukte und Gebiete mit einbezogen, bis die kleine, nicht nur vorübergehende Preiserhöhung einen Gewinn einbringt.(Fußnote)


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



Autor(-en):
Tilo Schindele
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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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