Die Auswirkungen der Datenschutzgrundverordnung auf das deutsche Beschäftigtendatenschutzrecht – Teil 04 – Kollektivvereinbarungen als Erlaubnis

2.3.2 Kollektivvereinbarungen als Erlaubnis

2.3.2.1 Grundsatz

Höchst praxisrelevant ist die Frage, ob Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen als sog. Kollektivvereinbarungen und die wesentlichen Regelungsinstrumente im Arbeitsrecht „andere Rechtsvorschriften“ i.S.d. § 4 BDSG sind. Dann könnten sie datenschutzrechtlich relevante Vorgänge durch den Arbeitgeber rechtfertigen. Die normative Außenwirkung von Betriebsvereinbarungen ordnet § 77 IV S. 1 BetrVG an. Die normativen Teile von Tarifverträgen sowie die Sprüche einer Einigungsstelle sind höchstrichterlich als Rechtsvorschriften anerkannt.[1] Grundsätzlich sind Kollektivvereinbarungen also potentielle Erlaubnistatbestände i.S.d. § 4 I BDSG.[2]
Allerdings muss sich die Erlaubnisvorschrift einer Betriebsvereinbarung im Rahmen der Regelungsautonomie der Betriebsparteien bewegen. Sie darf die Schranken des § 75 II BetrVG nicht überschreiten.[3] Insbesondere müssen Arbeitgeber und Betriebsrat die Grundrechte der Betroffenen beachten.[4] Sie müssen ihren Schutzauftrag[5] gemäß § 75 II BetrVG erfüllen, indem sie das Verhältnismäßigkeitsprinzip bewahren.[6]

Tarifverträge sind potentielle Erlaubnistatbestände i.S.d. § 4 I BDSG, wenn sie durch tariffähige und tarifzuständige Vertragsparteien wirksam geschlossen wurden (vgl. §§ 1 II, 2 TVG). Ferner müssen sie nach § 4 TVG für das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbar sein. Die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien erstreckt sich auf Datenvorgänge, die „den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen“ (§ 1 I TVG) betreffen.

2.3.2.2 Problematische Einzelfälle

Sähe eine Betriebsvereinbarung vor, dass der Arbeitgeber bei allen Beschäftigten DNA-Analysen durchführen dürfte, dann wäre diese Vereinbarung kein wirksamer Erlaubnistatbestand. Die DNA gehört zur besonderen Art personenbezogener Daten[7], deren Erhebung auf schwerwiegende Weise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift. Grundsätzlich dürfen Kollektivverträge zwar in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten eingreifen.[8] Die DNA betrifft jedoch den besonders schutzwürdigen innersten Kern der Persönlichkeitssphäre.[9] Der Gesetzgeber müsste daher regulierend tätig werden und etwa durch ein Gesetz bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine DNA-Analyse der Beschäftigten zulässig ist.[10] Die Wertungen der §§ 19, 20, 21, 22 GenDG lassen bereits erahnen, dass der Gesetzgeber DNA-Analysen im Beschäftigungsverhältnis auf ein Mindestmaß reduziert wissen möchte. Solange keine konkreteren gesetzlichen Erlaubnistatbestände existieren, sollten Arbeitgeber DNA-Analysen ihrer Beschäftigten daher möglichst vermeiden und im Einzelfall vorab Rechtsrat suchen.

Beispiel
Der Beschäftigte B ist bei der U-AG angestellt. B ist mit der Unternehmenspolitik unzufrieden und fühlt sich von Führungskräften gemobbt. Daher schreibt er anonyme Briefe mit beleidigendem Charakter an den Vorstand der U-AG (V). Bald schöpft V den Verdacht, dass B der Urheber der Briefe sein könnte. V stellt persönliche Gegenstände (Löffel, Tasse) des B sicher und gibt eine DNA-Analyse in Auftrag. Das Gutachten bestätigt, dass die DNA des Speichels, mit dem die an V gerichteten Briefe verschlossen wurden, mit der DNA übereinstimmt, die auf dem Löffel des B sichergestellt wurde. V spricht eine außerordentliche Verdachtskündigung aus.[11]

  • Die DNA-Analyse wurde ohne Kenntnis und Einwilligung des B angestellt. Sie ist im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses nicht verwertbar.


[1] Vgl. BAG, Urt. v. 27.5.1986 = NZA 1986, 643, 646 f.; BAG, Urt. v. 30.8.1995 = NZA 1996, 218, 221; Wybitul, NZA 2014, 225, 225; ErfK-Franzen, § 4 BDSG, Rn. 2.

[2] BAG, Beschl. v. 15.4.2014 = NZA 2014, 551, 556; BAG, Beschl. v. 27.5.1986 = NZA 1986, 643, 648; eingehend Wybitul, NZA 2014, 225 ff.

[3] Taeger, Datenschutzrecht, Rn. 205; Taeger/Rose, BB 2016, 819, 821.

[4] Vgl. B. I.

[5] Taeger/Rose, BB 2016, 819, 821.

[6] Z.B. BAG, Urt. v. 26.8.2008 = NZA 2008, 1187, 1189 f.

[7] Legaldefiniert in § 3 IX BDSG.

[8] Vgl. BAG, Beschl. v. 15.4.2014 = NZA 2014, 553, 555 f.

[9] Vgl. Plath-Stamer/Kuhnke, § 32 BDSG, Rn. 18.

[10] Taeger/Rose, BB 2016, 819, 821.

[11] Vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 28.11.2000 = NJW 2001, 1082, 1083 f.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Auswirkungen der Datenschutzgrundverordnung auf das deutsche Beschäftigtendatenschutzrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Samuel Weitz, LL.B. und cand. iur., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-72-4.


 

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Stand: Januar 2017


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

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Er prüft und erstellt Datenschutzhinweise, Datenverarbeitungsvereinbarungen und Einwilligungserklärungen zwischen Unternehmen und Kunden. Er schult Datenschutzbeauftragte und Geschäftsleitungen in allen Fragen des Datenschutzrechtes. Er berät und prüft Datenschutzrechtsfragen in Bezug auf Auslagerungen und Austausch von Daten im internationalen Verkehr (safe harbour u.a.).

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der Dualen Hochschule Stuttgart und Dozent für Datenschutzrecht und Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

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