Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 20 – Kündigung und Anfechtung, Einvernehmliche Aufhebung, Verlust der Betriebsidentität

8.3. Kündigung und Anfechtung

Auch die Beendigung der Betriebsvereinbarung durch eine einseitige Erklärung vom Arbeitgeber oder vom Betriebsrat ist möglich. So kann grundsätzlich jede Betriebsvereinbarung durch einen der Betriebspartner gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt gem. § 77 Abs. 5 BetrVG 3 Monate, soweit nichts Anderes vereinbart ist. Den Betriebspartnern steht es somit frei, sich auf eine längere oder eine kürzere Kündigungsfrist zu einigen, oder einen bestimmten Kündigungstermin vorzusehen. Arbeitgeber und Betriebsrat können die Kündigungsmöglichkeit aber auch gänzlich ausschließen. Eine Betriebsvereinbarung kann auch außerordentlich, und demnach fristlos gekündigt werden, sofern ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Da die Rechtsprechung diesbezüglich sehr hohe Anforderungen stellt,[1] kommt die außerordentliche Kündigung einer Betriebsvereinbarung nur selten in Betracht.

Beispiel
Für den Betrieb gilt eine Betriebsvereinbarung zur Vergütung von Überstunden. Da der Arbeitgeber diese künftig nur noch auf arbeitsvertraglicher Ebene regeln möchte, kündigt er die Vereinbarung mit dem Betriebsrat am 20. Juni. Die Betriebsvereinbarung selbst enthält keine Bestimmungen zu deren Kündigung.

  • Der Arbeitgeber ist jederzeit zur Kündigung der Betriebsvereinbarung berechtigt. Da hierzu keine Regelung getroffen wurde, gilt die 3-monatige Kündigungsfrist nach § 77 Abs. 5 BetrVG. Die Betriebsvereinbarung endet hier somit mit Ablauf des 20. September (§ 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).

Beispiel
Die Betriebspartner haben eine Betriebsvereinbarung zur Einführung eines Weihnachtsgelds abgeschlossen. Zusätzlich hierzu wurde in die Betriebsvereinbarung eine Regelung aufgenommen, wonach deren Kündigung nur zum Jahresende möglich sein soll. Bereits im Januar beschließt der Arbeitgeber, auf die Gewährung des Weihnachtsgelds künftig zu verzichten und kündigt die Betriebsvereinbarung hierzu.

  • Die hier getroffene Regelung zur Kündigungsmöglichkeit der Betriebsvereinbarung ist zulässig, da die Betriebspartner diesbezüglich frei entscheiden können. Nach der Kündigung des Arbeitgebers bleibt die Betriebsvereinbarung somit vorliegend noch das ganze laufende Jahr in Kraft.

Betriebsvereinbarungen können auch durch einen der Betriebspartner angefochten werden, sofern ein Grund hierfür vorliegt. Eine wirksame Anfechtung der Betriebsvereinbarung kann deren Rechtswirkung - entgegen § 142 Abs. 1 BGB - nur mit sofortiger Wirkung für die Zukunft beseitigen (--> 2.2.2).

Beispiel
Die Betriebspartner schließen eine Betriebsvereinbarung ab, durch welche ein zusätzliches Betriebsratsmitglied von seiner Arbeitsleistung freigestellt werden soll. Die Möglichkeit zur Kündigung der Vereinbarung wird gänzlich ausgeschlossen. Im Vorfeld der Verhandlung der Betriebsvereinbarung teilte der Betriebsrat dem Arbeitgeber wider besseren Wissens mit, dass die zusätzliche Freistellung zur Bewältigung der Betriebsratsarbeit unbedingt notwendig ist. In Wahrheit besteht jedoch keinerlei Bedarf an einem weiteren freigestellten Betriebsratsmitglied. Als der Arbeitgeber von der Täuschung seitens des Betriebsrats erfährt, ficht er die Betriebsvereinbarung an.

  • Der Arbeitgeber wurde hier durch den Betriebsrat arglistig getäuscht. Demnach kann er die abgeschlossene Betriebsvereinbarung nach § 123 Abs. 1 BGB anfechten. Die Vereinbarung endet, sobald die Anfechtung gegenüber dem Betriebsrat erklärt worden ist.

8.4. Einvernehmliche Aufhebung

Des Weiteren können Betriebsrat und Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung zu jeder Zeit auch im gegenseitigen Einvernehmen beenden. Hierzu bedarf es einer Einigung zwischen den Betriebspartnern, die - wie schon der Abschluss einer Betriebsvereinbarung - schriftlich erfolgen muss (vgl. --> 2.1.3).

Beispiel
Es besteht eine Betriebsvereinbarung über eine Sondervergütung, die den Arbeitnehmern monatlich ausgezahlt wird. In der Betriebsvereinbarung wurde festgehalten, dass die Kündigung der Vereinbarung ausschließlich zum Jahresende möglich ist. Am Anfang des Jahres gerät das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten. Diesen will der Arbeitgeber mit der Abschaffung der Regelung zur Sondervergütung begegnen, da ihm das Abwarten der Kündigungsfrist zu lange dauern würde. Hierzu schließt er mit dem Betriebsrat einen entsprechenden schriftlichen Vertrag ab.

  • Im vorliegenden Fall haben sich die Betriebspartner einvernehmlich auf die Aufhebung der Betriebsvereinbarung geeinigt. Die Einigung ist wirksam, da sie vor allen Dingen schriftlich erfolgte. Somit endet die Betriebsvereinbarung hier mit Abschluss des Aufhebungsvertrags.

8.5. Verlust der Betriebsidentität

Hört der Betrieb auf als solcher zu existieren, so enden grundsätzlich auch alle für ihn abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen. Ganz grundlegend gilt dies zunächst für den Fall, in welchem der Betrieb endgültig stillgelegt wird. Hiervon betroffen sind jedoch nicht die Betriebsvereinbarungen, die anlässlich der Betriebsstilllegung abgeschlossen werden oder die auch über eine solche hinaus Bestand haben sollen (z.B. Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung). Das Gleiche wie bei der Stilllegung von Betrieben kann auch dann gelten, wenn der Betrieb zwar nicht stillgelegt wird, seine Identität in Form seiner betriebsverfassungsrechtlichen Selbständigkeit jedoch verliert.

Beispiel
Für den Betrieb, zu dessen Stilllegung sich der Arbeitgeber entschlossen hat, gelten zahlreiche Betriebsvereinbarungen. Zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer schließen die Betriebspartner darüber hinaus noch einen Sozialplan ab. Alle Maßnahmen werden planmäßig durchgeprüft und der Betrieb wird endgültig stillgelegt.

  • Alle für den Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen werden mit der Stilllegung des Betriebs gegenstandslos und enden daher. Eine Ausnahme gilt für den Sozialplan, da dessen Regelungsgegenstand gerade die Betriebsstilllegung ist. Er endet erst mit der Erreichung des Zwecks, zu dem er abgeschlossen wurde (vgl. --> 8.2).

Beispiel
Das Unternehmen des Arbeitgebers besteht aus den Betrieben A und B, welche sich an unterschiedlichen Standorten befinden. Der Arbeitgeber entscheidet sich dazu den wesentlich kleineren Betrieb B zu verlegen und ihn in den Betrieb A einzugliedern. In beiden Betrieben gibt eine Vereinbarung zur Gewährung eines Weihnachtsgelds. Im Betrieb B sieht die Betriebsvereinbarung 70% des durchschnittlichen Monatsverdienstes als Weihnachtsgeld vor; im Betrieb A beläuft sich dieses lediglich auf 50%.

  • Wird der Betrieb B in den Betrieb A eingegliedert, so verliert ersterer seine betriebliche Identität. Die Betriebsvereinbarungen des Betriebs B enden, sofern sie im Betrieb A auf eine Vereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand treffen. Nach erfolgter Eingliederung gelten in diesen Fällen somit nur noch die Betriebsvereinbarungen des Betriebs A. Da es sich hierbei im Grunde um eine Ablösung von Betriebsvereinbarungen handelt, sind die hierfür geltenden Grundsätze maßgeblich (--> 6.2). Demnach haben die Arbeitnehmer künftig nur noch einen Weihnachtsgeldanspruch in Höhe von 50% ihres Monatsverdienstes, wie es die Betriebsvereinbarung im Betrieb A festlegt.

Näheres zur Beendigung von Betriebsvereinbarungen in den Fällen von Unternehmensumstrukturierungen (--> Kap. 11).


[1] BAG 19.07.1957, AP BetrVG § 52 Nr. 1.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.


 

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Stand: Januar 2017


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