Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 12 – Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, Gesetzes- und Sittenwidrigkeit

5.4. Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes

Schranken für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen ergeben sich auch aus den sogenannten Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Ersterer ist insbesondere dann zu beachten, wenn die Betriebspartner in bestehende Rechte der Arbeitnehmer eingreifen. Die Bestimmung in der Betriebsvereinbarung muss dann angesichts des von der aufgestellten Regelung verfolgten Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein. Soll die Betriebsvereinbarung ab einem Zeitpunkt in Kraft treten, welcher in der Vergangenheit liegt, also rückwirkende Geltung entfalten, so ist zusätzlich zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu beachten. Dies bedeutet, dass das Interesse der Betriebspartner an einer rückwirkenden Veränderung der Rechtslage dem Interesse des Arbeitnehmers, dass dies zumindest nicht zu seinem Nachteil geschieht, überwiegen muss.

Beispiel
Da sich die Arbeitnehmer des Betriebs vermehrt über Belästigungen durch Tabakrauch beschweren, entschließt sich der Arbeitgeber ein generelles Rauchverbot zu erlassen. Hierzu schließt er mit dem Betriebsrat eine entsprechende Betriebsvereinbarung ab. Nach deren Regelungen soll sich das Rauchverbot auf das gesamte Betriebsgelände einschließlich des Freigeländes erstrecken. Besondere Gründe für das Rauchverbot im Freien gibt es nicht.

  • Arbeitgeber und Betriebsrat sind grundsätzlich befugt, Rauchverbote durch Betriebsvereinbarungen zu erlassen. Dies muss jedoch auch unter der Berücksichtigung der Rechte der rauchenden Arbeitnehmer geschehen. Die hier vereinbarte Regelung ist zwar geeignet, um die Nichtraucher im Betrieb vor den Belästigungen des Tabakrauchs zu schützen, jedoch nicht in dieser Form erforderlich. Das Ziel der Regelung könnte nämlich im selben Ausmaß erreicht werden, indem man den Rauchern bestimmte Raucherbereiche im Freien einräumt. Demnach greift die Betriebsvereinbarung unverhältnismäßig in die allgemeine Handlungsfreiheit der rauchenden Arbeitnehmer ein (Art. 2 Abs. 1 GG). Sie ist somit unzulässig.

Beispiel
Der Arbeitgeber stellt seinen Mitarbeitern zum 01.06. einen firmeneigenen Parkplatz bereit. Laut seiner Aussage soll er der gesamten Belegschaft vorerst kostenfrei zur Verfügung stehen. Ende des Jahres schließt er mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung "Parkplatz für Betriebsangehörige" ab. In ihr wird auf Verlangen des Arbeitgebers unter anderem geregelt, dass für die Benutzung des Parkplatzes ein monatlicher Beitrag in Höhe von 20 Euro anfällt. Durch diesen sollen sich die Arbeitnehmer an den unerwartet hohen Kosten für die Bereitstellung und die Unterhaltung des Parkplatzes beteiligen. Die Betriebsvereinbarung soll rückwirkend zum 01.06. in Kraft treten.

  • Begründen die Betriebspartner durch eine Betriebsvereinbarung rückwirkend Arbeitnehmerpflichten, haben sie zunächst den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Erhebung des Beitrags für die Benutzung des Parkplatzes ist zum Zwecke der Kostenverteilung geeignet, sowie auch erforderlich. Der monatliche Beitrag von 20 Euro ist auch nicht unangemessen hoch. Somit ist die Regelung der Betriebsvereinbarung im vorliegenden Fall verhältnismäßig.
  • Die abgeschlossene Betriebsvereinbarung muss ferner dem Grundsatz des Vertrauensschutzes entsprechen. Der Arbeitgeber hat zwar ein Interesse daran, dass die Arbeitnehmer - auch rückwirkend - an den Kosten für die Bereitstellung und die Unterhaltung des Parkplatzes beteiligt werden; das Interesse der Arbeitnehmer daran, dass (zumindest in erster Zeit) keine Kosten für die Benutzung des Parkplatzes anfallen, ist jedoch schutzwürdiger. Aufgrund der Aussage des Arbeitgebers konnten die Arbeitnehmer vorliegend darauf vertrauen, dass keine Kosten für die Nutzung des Parkplatzes entstehen. Demnach verletzt die rückwirkende Regelung der Betriebsvereinbarung den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Sie ist deshalb unzulässig.

5.5. Gesetzes- und Sittenwidrigkeit

Grenzen einer Betriebsvereinbarung bilden schließlich auch eine etwaige Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit der in ihr enthaltenen Regelungen. Verstößt das zwischen den Betriebspartnern Vereinbarte gegen ein gesetzliches Verbot, so ist die betroffene Regelung gem. § 134 BGB nichtig. Ebenso verhält es sich, wenn eine Bestimmung der Betriebsvereinbarung gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 Abs. 1 BGB).

Beispiel
Im Betrieb des Arbeitgebers herrscht eine übliche werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden. Anzuwendende Tarifverträge sind nicht vorhanden. Mit dem Ziel, vorhandene Auftragsspitzen abzudecken, schließt er mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Anordnung von Überstunden ab. Nach deren Regelungen, soll der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern anweisen dürfen, täglich vier Überstunden abzuleisten.

  • Schließen die Betriebspartner eine Betriebsvereinbarung zur Anordnung von Überstunden ab, müssen sie die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes beachten. Da keine Tarifverträge existieren, die eine abweichende Regelung i.S.d. § 7 ArbZG zulassen, gilt im Betrieb des Arbeitgebers eine absolute werktägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden (§ 3 S. 2 ArbZG). Durch die hier aufgestellte Regelung soll es aber möglich sein, 4 Überstunden anzuordnen, wodurch die Arbeitnehmer werktäglich insgesamt 12 Stunden abzuleisten hätten. Dies verstößt gegen § 3 S. 2 ArbZG, da hierdurch die absolute Höchstarbeitszeit um 2 Stunden überschritten wird. Somit ist die Betriebsvereinbarung gesetzeswidrig und nach § 3 S. 2 ArbZG i.V.m. § 134 BGB nichtig.

Beispiel
Die Betriebspartner schließen eine Betriebsvereinbarung "Allgemeine Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat" ab. In ihr wird unter anderem auf die gesetzliche Pflicht hingewiesen, dass die Betriebsratsmitglieder über fremde Arbeitnehmergeheimnisse, insbesondere über solche aus deren persönlichen Lebensbereich, Stillschweigen zu bewahren haben. Darüber hinaus klärt die Betriebsvereinbarung auch über die strafrechtlichen Konsequenzen aus § 120 BetrVG auf, die bei Verletzung dieser Pflicht drohen. Zusätzlich hierzu vereinbaren die Betriebspartner eine Regelung, nach der etwaige gegenüber den Betriebsratsmitgliedern verhängte Geldstrafen vom Arbeitgeber erstattet werden, sofern die Weitergabe des Arbeitnehmergeheimnisses an den Arbeitgeber erforderlich gewesen ist.

  • Mitgliedern des Betriebsrats, die unbefugt fremde Arbeitnehmergeheimnisse offenbaren, welche ihnen aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit bekannt geworden sind und über die nach dem Betriebsverfassungsgesetz Stillschweigen zu bewahren ist, drohen unter anderem Geldstrafen (§ 120 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BetrVG). Durch eine Regelung, aufgrund welcher sich der Arbeitgeber verpflichtet, solche Geldstrafen zu erstatten, könnten die Betriebsratsmitglieder zum Verstoß gegen ihre Geheimhaltungspflicht verleitet werden. Derartige Vereinbarungen sind sittenwidrig und folglich gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.[1]

[1] Vgl. BAG 25.01.2001 NJW 2001, 1962

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.


 

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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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