Das Widerrufsrecht – Teil 14 – Besondere Vorschriften für Finanzierungsverträge

4.3 Besondere Vorschriften für Finanzierungsverträge

Bei den besonderen Vorschriften der Finanzierungsverträge gelten strenge Regeln im Hinblick auf den Beginn der Widerrufsfrist. Neben der Widerrufsbelehrung hat z.B. der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer weitere Informationen zur Verfügung zu stellen. Der Verbraucher soll bei Finanzierungsverträgen besonders detailliert informiert werden, da er sich beispielsweise bei Darlehensverträgen längerfristig finanziellen Belastungen aussetzt. Kommt der Darlehensgeber seinen Informationspflichten nicht nach, besteht sogar die Möglichkeit, dass sich die Widerrufsfrist verlängert.

4.3.1 Widerrufsfrist

Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage, wenn der Unternehmer dem Verbraucher eine ordnungsgemäß ausgestaltete Vertragsurkunde oder den schriftlichen Darlehensantrag zur Verfügung gestellt hat (§§ 355 Abs. 2 S. 2, 356b Abs. 1 BGB). Enthält die Vertragsurkunde nicht die vorgeschriebenen Pflichtangaben (§ 492 Abs. 2 BGB), so beträgt die Widerrufsfrist einen Monat. Zu diesen Pflichtangaben (Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB) zählen:

  • die Identität und Anschrift des Darlehensgebers,
  • die Art des Darlehens und der Darlehensgesamtbetrag,
  • Angabe über die Zinsen, der Zinsanpassung, Laufzeit, Fälligkeiten, Auszahlungsbedingungen sowie sonstige Kosten,
  • Angaben zu Verzugszinssätzen,
  • die Widerrufsbelehrung,
  • die Identität und Anschrift des Darlehensnehmers,
  • die Identität der zuständigen Aufsichtsbehörde,
  • einen Anspruch des Darlehensnehmers auf einen Tilgungsplan,
  • das Kündigungsverfahren,
  • weitere Vertragsbedingungen.

Abhängig von der Art des Darlehens können weitere Informationspflichten einschlägig und zu beachten sein (Art. 247 §§ 7 bis 13 EGBGB).


4.3.2 Fristauslösung bei Verbraucherdarlehensverträgen und Finanzierungshilfen

Das zentrale Ereignis für die Auslösung der Widerrufsfrist ist die Erteilung der Pflichtinformationen durch den Unternehmer.

4.3.2.1 Aushändigung der Vertragsabschrift

Die Widerrufsfrist beginnt frühestens mit Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB). Dies setzt voraus, dass dem Verbraucher eine Vertragsabschrift zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses überreicht wurde (§ 356b Abs. 1 BGB), damit er Kenntnis von den Pflichtinformationen (§ 492 Abs. 2, Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB) erlangen kann. Wird dem Verbraucher die Vertragsabschrift zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung gestellt, wird die Widerrufsfrist erst ab Aushändigung der Vertragsabschrift ausgelöst. Eine Vertragsabschrift ist jedes Dokument, das imstande ist, den Vertragsinhalt wiederzugeben (Kopie).[1] Eine Beglaubigung der Vertragsabschrift ist nicht notwendig.[2]

Bei Finanzierungshilfen kommt es für die Fristauslösung nicht auf die Aushändigung einer Vertragsabschrift an. Der Unternehmer ist nicht verpflichtet, dem Verbraucher bei Abschluss einer Finanzierungshilfe eine Vertragsabschrift zur Verfügung zu stellen (§§ 506 Abs. 1, 492 Abs. 3 BGB). Maßgeblich für den Beginn der Widerrufsfrist bei Finanzierungshilfen ist der Vertragsschluss sowie die Erfüllung der Pflichtinformationen gegenüber dem Verbraucher. Ist der Beginn der Widerrufsfrist streitig, trifft den Unternehmer die Beweislast (§ 361 Abs. 3 BGB).

4.3.2.2 Nichterteilung der Pflichtigen

Werden die Pflichtinformationen nicht erteilt oder wird die Schriftform nicht eingehalten, ist der Vertrag nichtig (§ 494 Abs. 1 BGB). Durch die Inanspruchnahme oder Empfang des Darlehens wird der Vertrag jedoch wieder gültig (§ 494 Abs. 2 S. 1).

Der Empfang eines Darlehens liegt vor, wenn die Darlehenssumme aus dem Vermögen des Darlehensgebers ausscheidet und dem Vermögen des Darlehensnehmers zugeführt wurde.[3] Dies ist der Fall, wenn sich eine Gutschrift der Darlehenssumme auf dem Konto des Darlehensnehmers befindet. Die Inanspruchnahme des Darlehens setzt weniger eine Auszahlung des Darlehens voraus. Es genügt bereits das an den Unternehmer gerichtete Verlangen des Verbrauchers, über das Darlehen verfügen zu wollen.[4]

Ab dem Zeitpunkt an dem der Vertrag wieder gültig wird, müssen die Pflichtangaben nachgeholt werden (§ 492 Abs. 6 S. 1 BGB). Erst mit Nachholung der Pflichtangaben wird die Widerrufsfrist ausgelöst (§ 356b Abs. 2 S. 1 BGB). Dem Verbraucher steht in diesem Fall eine verlängerte Widerrufsfrist von einem Monat ab Erteilung der Pflichtinformationen zu (§ 356b Abs. 2 S. 2 BGB).

Beispiel:
Der Verbraucher schließt am 05.05. einen Darlehensvertrag mit seiner Bank. Bei Vertragsschluss bekommt der Verbraucher eine Kopie der Vertragsdokumente. Am 10.10. stellt der Verbraucher fest, dass die Vertragsunterlagen gar nicht die Daten der einzelnen Teilzahlungen beinhalten. Diesen Umstand zeigt er der Bank noch am selben Tag an. Gleichzeitig wird für den gleichen Tag ein Termin zur Informationsnachholung vereinbart. Diese findet am 11.10. statt. Währenddessen ist die erste Teilzahlung bereits am 08.05. auf dem Konto des Verbrauchers eingegangen. Der Verbraucher bekommt eine neue Vertragsabschrift mit ordnungsgemäßen Pflichtangaben am 11.10.

  • Nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nr. 7 EGBGB müssen die Fälligkeiten der einzelnen Teilzahlungen Vertragsinhalt werden. Durch das Fehlen der Angaben war der Vertrag gem. § 494 Abs. 1 BGB nichtig. Der Darlehensnehmer hat am 08.05. schon die erste Teilzahlung auf seinem Konto verbucht. Damit wurde ein Teil der Darlehenssumme von dem Vermögen des Darlehensgebers in das Vermögen des Darlehensnehmers transferiert. Der Verbraucher hat das Darlehen empfangen. Es liegt ein Gültigkeitseintritt des Vertrags am 08.05. vor (§ 494 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Informationsnachholung erfolgte am 11.05. Unter Anwendung der maßgeblichen Berechnungsvorschrift für den Fristablauf (§ 187 Abs. 1 BGB) wurde die einmonatige Widerrufsfrist am 12.05. ausgelöst.


[1] Vgl. jurisPK-BGB Band 2, § 492 Rn 26.

[2] Vgl. jurisPK-BGB Band 2, § 492 Rn 24.

[3] Vgl. BGH, Urt. v. 25.04. 2006 - XI ZR. 193/04.

[4] Vgl. jurisPK-BGB Band 2, § 494 Rn. 8.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.


 

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Stand: Januar 2016


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