Das Widerrufsrecht – Teil 11 – Ausübung und Fristen des Widerrufsrechts

4 Ausübung und Fristen des Widerrufsrechts

Um das Widerrufsrecht wirksam auszuüben, muss der Verbraucher den Widerruf fristgerecht erklären. Dies macht er nur dann, wenn der Widerruf innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist erklärt wird. An diesem Punkt stellt sich die Frage, ab wann die Widerrufsfrist überhaupt zu laufen beginnt und ob das Widerrufsrecht sogar vorzeitig erlöschen kann.

Der Gesetzgeber macht den Fristbeginn von verschiedenen Ereignissen abhängig. Fristauslösende Ereignisse sind z.B. der Vertragsabschluss oder die Erteilung der ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung. Insbesondere deshalb kommt der Einhaltung der Belehrungspflichten eine besondere Bedeutung zu. Informiert der Unternehmer den Verbraucher nicht oder nur unvollständig oder fehlerhaft über das Widerrufsrecht, wird dies durch eine Verlängerung der Widerrufsfrist bestraft.

4.1 Grundsätzliches

Der Gesetzgeber stellt grundsätzliche Anforderungen an die Widerrufserklärung sowie an die Auslösung der Widerrufsrist.

4.1.1 Widerrufserklärung des Verbrauchers

Eine wirksame Widerrufserklärung des Verbrauchers setzt voraus, dass diese deutlich als solche durch den Unternehmer erkannt werden kann, dass die vom Gesetz zugelassenen Formen eingehalten werden und die Abgabe der Erklärung rechtzeitig erfolgt.

4.1.1.1 Deutlichkeit

Die Widerrufserklärung des Verbrauchers richtet sich immer an den Unternehmer (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB). Der Verbraucher muss sich dabei an das Deutlichkeitsgebot halten (§ 355 Abs. 1 S. 3 BGB). Das bedeutet, dass der Wille sich vom Vertrag zu lösen, eindeutig aus der Erklärung hervorgehen muss. Die Benutzung des Wortes "Widerruf" ist nicht notwendig.


Beispiel 1:
Der Verbraucher sendet die Ware an den Unternehmer zurück. Der Retour liegt ein Schreiben mit den Worten "Die Ware ist nicht gut" bei.

  • Der Unternehmer kann nicht unterschieden, ob es sich um einen Widerruf oder um die Rücksendung einer mangelhaften Ware handelt. Eine solche Erklärung entspricht deshalb nicht den Anforderungen des Deutlichkeitsgebots. Aus der Erklärung geht nicht eindeutig hervor, ob sich der Verbraucher vom Vertrag lösen möchte oder lediglich ein Gewährleistungsrecht geltend macht.

Beispiel 2:
Der Verbraucher versendet an den Unternehmer eine E-Mail mit den Worten "Hiermit erkläre ich den Widerruf meiner Vertragserklärung" (Willenserklärung).

  • Aus der Beispielformulierung (2) wird deutlich, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht geltend machen möchte. Dem Deutlichkeitsgebot wird genüge getan, da der Wille sich vom Vertrag zu lösen, eindeutig erkennbar ist.

    Es sind auch alternative Formulierungen denkbar, z.B. "Hiermit erkläre ich, dass ich an dem zwischen uns bestehenden Vertrag nicht mehr gebunden sein möchte". Wichtig ist, dass der Erklärungsempfänger eindeutig erkennen kann, dass ein Festhalten am Vertrag nicht mehr gewollt ist.

Der Widerruf bedarf keiner Begründung (§ 355 Abs. 1 S. 4 BGB). Der Verbraucher muss sich gegenüber dem Unternehmer also nicht für den Widerruf rechtfertigen.

4.1.1.2 Form

Die Widerrufserklärung des Verbrauchers bedarf keiner gesetzlich vorgeschriebenen Form. Sie kann mündlich, telefonisch, per Fax oder E - Mail erklärt werden.[1] Den Widerruf in Textform (§ 126b BGB) zu erklären ist ratsam. Denn der Verbraucher ist für den Inhalt, die Absendung und den Zugang der Widerrufserklärung beweispflichtig.[2] Eine kommentarlose Rücksendung der Ware (konkludente Widerrufserklärung) ist nicht ausreichend! Die konkludente Widerrufserklärung ist nicht zulässig! Die Parteien können diese Form der Widerrufserklärung jedoch vertraglich vereinbaren.[3]

4.1.1.3 Rechtzeitigkeit

Der Verbraucher hat den Widerruf fristgerecht erklärt, wenn er seine Widerrufserklärung rechtzeitig absendet (§ 355 Abs. 1 S. 5 BGB). Eine rechtzeitige Absendung setzt voraus, dass die Widerrufserklärung noch vor Ablauf der Widerrufsfrist abgegeben und auf den Weg zum richtigen Adressaten gebracht wird.


Beispiel 1:
Die Widerrufsfrist läuft am 20.01. ab. Der Verbraucher verschickt die Widerrufserklärung am 19.01 per Post. Der Unternehmer erhält die Widerrufserklärung erst am 23.01.

  • Der Verbraucher hat die Widerrufserklärung noch rechtzeitig vor dem Ablauf der Widerrufsfrist an den Unternehmer gesendet. Das der Unternehmer die Erklärung erst drei Tage nach dem Ablauf der Widerrufsfrist erhalten hat, ist für die Fristeinhaltung unschädlich.

Der Verbraucher kann seine Willenserklärung auch dann widerrufen, wenn es noch nicht zum Vertragsschluss gekommen ist (vgl. Art. 12 lit. (b) RL 2001/83/EU). Dies ist dann der Fall, wenn die Willenserklärung des Unternehmers noch aussteht.


Beispiel 2:
Der Verbraucher verhandelt telefonisch (Fernabsatz) mit einem Antiquitätenhändler (Unternehmer) über den Kaufpreis einiger wertvoller Gegenstände. Darunter befindet sich auch eine Kommode aus dem 19. Jahrhundert. Nach 20-minütiger Verhandlung sagt der Verbraucher zu dem Händler: "600 €! Das ist mein letztes Angebot für die Kommode!". Der Händler erwidert: " 600 € sind eigentlich zu wenig! Ich muss erst noch mit meinem Partner darüber beraten, bevor ich mich auf solche Preise einlasse. Sie hören morgen wieder von mir."

Am selben Tag erfährt der Verbraucher, dass ein Konkurrent des Antiquitätenhändlers dieselbe Kommode für nur 300 € zum Verkauf anbietet. Kurz nachdem der Verbraucher davon Kenntnis erlangt, schreibt er dem Antiquitätenhändler eine E-Mail mit dem Inhalt: " Das Angebot für die Kommode aus dem 19. Jahrhundert i.H.v. 600 € möchte ich zurückziehen. Dieselbe Kommode bekomme ich bei einem Konkurrenten bereits für die Hälfte Ihres Verkaufspreises. Ich kaufe bei dem!"

  • Mit Ausübung des Widerrufrechtes endet die Verpflichtung der Vertragsparteien zum Abschluss des Fernabsatzvertrages, sofern der Verbraucher dazu ein Angebot abgegeben hat. Im Fallbeispiel (2) hat der Verbraucher das Vertragsangebot abgegeben, die Kommode für 600 € zu erwerben. Damit liegt die Voraussetzung der Angebotsabgabe durch den Verbraucher vor. Die Widerrufserklärung hat der Verbraucher so formuliert, dass der Unternehmer eindeutig erkennen kann, dass der Verbraucher den Vertrag nicht mit ihm abschließen möchte. Das Deutlichkeitsgebot wurde eingehalten. Die Willenserklärung des Antiquitätenhändlers (Annahmeerklärung) wurde noch nicht abgegeben, da dieser erst Rücksprache mit dem Partner halten musste. Als Rechtsfolge ergibt sich, dass der Verbraucher nicht mehr verpflichtet ist, den Fernabsatzvertrag mit dem Unternehmer zu schließen. Der Verbraucher ist nicht mehr an seiner Willenserklärung gebunden.

Ihre Wirksamkeit entfaltet die Widerrufserklärung erst mit dem Zugang beim Unternehmer (§ 130 Abs. 1 BGB). Der Unternehmer trägt das sog. Verzögerungsrisiko, der Verbraucher das sog. Zugangsrisiko.
Dem Verbraucher kann eine verzögerte Kenntnisnahme der Widerruferklärung durch den Unternehmer nicht zur Last gelegt werden, sofern sie fristgerecht abgeschickt wurde (Verzögerungsrisiko). Anders herum hat der Unternehmer nicht den Untergang der Widerrufserklärung zu verantworten (Zugangsrisiko). Die Voraussetzung des Zugangs der Widerrufserklärung ist erfüllt, wenn diese in den tatsächlichen Machtbereich des Unternehmers gelangt, sodass es nur noch an diesem liegt, von ihr Kenntnis zu erlangen.[4] Damit die Widerrufserklärung in den tatsächlichen Machtbereich des Unternehmers gelangen kann, muss dieser eine Empfangseinrichtung (Briefkasten, Postfach) bereithalten.


Beispiel:
Der Verbraucher sendet die Widerrufserklärung fristgerecht ab. Sie gelangt drei Tage nach Ablauf der Widerrufsfrist in das Postfach des Unternehmers. Der Unternehmer leert sein Postfach erst fünf Tage später. Einen Tag darauf liest der Unternehmer die Widerrufserklärung.

  • Die Widerrufserklärung wurde noch vor Ablauf der Widerrufsfrist abgegeben und auf den Weg zum richtigen Adressaten gebracht. Die Widerrufserklärung wurde somit rechtzeitig abgegeben. Das der Unternehmer die Widerrufserklärung erst drei Tage nach Fristablauf erhält, ist unerheblich. Denn es genügt die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung (§ 355 Abs. 1 S. 5 BGB)! Auch die verspätete Kenntnisnahme durch den Unternehmer kann dem Verbraucher nicht zur Last gelegt werden. Denn die Kenntnisnahme durch den Unternehmer kann der Verbraucher nicht beeinflussen. Der Unternehmer trägt hier das Risiko der verzögerten Kenntnisnahme (Verzögerungsrisiko). Ferner liegt mit dem Postfach des Unternehmers die Voraussetzung der Empfangseinrichtung vor. Mit dem Eingang der Widerrufserklärung im Postfach, ist diese in den tatsächlichen Machtbereich des Unternehmers gelangt. Daraus folgt, dass die Widerrufserklärung am dritten Tag nach dem Ablauf der Widerrufsfrist als zugegangen gilt.


4.1.2 Widerrufsfrist

Die Regelwiderrufsfrist beträgt 14 Tage (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB). Eine vertraglich vereinbarte Kürzung der Frist ist unwirksam. (§ 361 Abs. 2 BGB). Eine vertraglich verlängerte Fristvereinbarung ist hingegen zulässig. Die Widerrufsfrist gilt auch dann, wenn dem Verbraucher erst nach Vertragsschluss die Widerrufsbelehrung zugeht. Zu einer Verlängerung der Widerrufsfrist kommt es nur in Sonderfällen durch die Anwendung besonderer Vorschriften bei bestimmten Vertragsarten.

4.1.2.1 Fristauslösung

Die Widerrufsfrist wird grundsätzlich mit Vertragsschluss ausgelöst (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB). Dies gilt nicht, wenn durch das Gesetz etwas anderes bestimmt wird. Zahlreiche Abweichungen bei den besonderen Vertriebsformen und den Verbraucherdarlehensverträgen machen die Grundsatzregel zur Ausnahmeregel.

4.1.2.2 Fristberechnung

Die Berechnung für den Fristbeginn richtet sich nach § 187 Abs. 1 BGB. Der Tag, in den das für den Fristbeginn maßgebliche Ereignis fällt, wird nicht mit eingerechnet. Fällt das Fristende auf einen Sonn- oder Feiertag, so tritt an seine Stelle der nächste Werktag (§ 193 BGB).

Das Ende der Frist berechnet sich nach § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Eine Frist endet nach Ablauf desjenigen Tages, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, der für den Fristablauf maßgeblich ist.


Beispiel:
Der Verbraucher schließt am Dienstag, den 12.05 einen Vertrag mit ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung mit dem Unternehmer.

  • Da am 12.05.2015 das für den Beginn der Frist maßgebliche Ereignis (Vertragsschluss) stattfindet, wird dies nicht der Tag der Fristauslösung. Die Frist wird am 13.05 um 0 Uhr ausgelöst. Die Frist zur Erklärung des Widerrufs endet am 27.05 um 0 Uhr.


[1] Vgl. BeckOK BGB, § 355 Rn 13.

[2] Vgl. Staudinger, § 355 Rn 99.

[3] Vgl. BT - Drucks 17/12637 S 60.

[4] Vgl. BGH NJW-RR 2011, 1184,1185.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.


 

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Stand: Januar 2016


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