Die Haftung für Steuerschulden – Teil 07 – Haftung des Eigentümers nach § 74 AO

8. Haftung des Eigentümers nach § 74 AO

8.1. Einführung

Dient ein Gegenstand einem Unternehmen nicht nur vorübergehend oder ist der Gegenstand für das Unternehmen nicht nur von untergeordneter Bedeutung und ist der Eigentümer an dem Unternehmen wesentlich beteiligt, haftet er persönlich mit den Gegenständen für die betriebsbedingten Steuern und Ansprüche auf die Erstattung von Steuervergütungen, unabhängig von seinem eigenen Verschulden.

Die Norm soll den Zugriff auf Vermögensgegenstände ermöglichen, wenn sich die Vollstreckung in das Betriebsvermögen wegen betrieblichen Steuerrückständen nicht durchsetzen lässt, weil die pfändbaren Gegenstände nicht dem Unternehmen gehören, sondern einem Dritten, mithin das Unternehmen mit fremden Betriebsmitteln wirtschaftet.

§ 74 AO ermöglicht eine gegenständliche Durchgriffshaftung gegenüber am Unternehmen wesentlich beteiligten Personen.

8.2. Voraussetzungen

Gehören Gegenstände, die einem Unternehmen dienen, nicht dem Unternehmer, sondern einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person, so haftet der Eigentümer der Gegenstände mit diesen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet.

8.2.1. Eigentum oder Miteigentum

Erforderlich für eine gegenständliche Durchgriffshaftung nach § 74 AO ist das zivilrechtliche Eigentum. Wirtschaftliches Eigentum nach § 39 AO, wie z.B. Leasing genügt genauso wenig, wie ein bloßer Eigentumsvorbehalt oder eine Sicherungsübereignung.

Eine Haftung kommt nicht nur in Fällen des alleinigen Eigentums, sondern auch bei Miteigentum in Betracht.

8.2.2. Gegenstände

Zu den haftenden Gegenständen im Sinne der Regelung gehören

  • materielle, wie Gegenstände, Maschinen, Fahrzeuge usw. und
  • immaterielle Wirtschaftsgüter, wie Forderungen und Rechte, also Grundstücke, usw.

Bei Rechten fehlt es jedoch oft an der Voraussetzung des Dienens[1] grundsätzlich können sie aber Gegenstand der Haftung sein.

8.2.3. Unternehmen

Unternehmer ist nach § 2 I UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Darunter fallen Gewerbliche, land- und forstwirtschaftliche, freiberufliche und sonstige Unternehmen, die beispielsweise durch Vermietung oder Verpachtung einen Gewinn erzielen.

8.2.4. Dem Unternehmen dienen

Der Gegenstand dient dem Unternehmen, wenn er

  • diesem zeitlich unbeschränkt zur Verfügung steht und
  • für die Führung des Betriebes von Bedeutung ist, indem er für betriebliche Zwecke irgendwie genutzt, verwertet oder sinnvoll eingesetzt wird.

Der Gegenstand darf also nicht nur

  • vorübergehend dem Unternehmen dienen und
  • von untergeordneter Bedeutung sein.

Eine kurzzeitige Überlassung genügt nicht. Es steht der Haftung allerdings nicht entgegen, wenn der Gegenstand dem unternehmen unter Mitbenutzung eines Dritten dient. Eine wesentliche Betriebsgrundlage im einkommensteuerrechtlichen Sinn ist nicht erforderlich.

Beispiel 1

Der Bauer GmbH wird kurzzeitig ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestellt. Das Fahrzeug ist dem Unternehmen nur vorrübergehend überlassen.

  • Das Ersatzfahrzeug gehört nicht zu den haftenden Gegenständen.

8.2.5. Am Unternehmen wesentlich beteiligt

Der Eigentümer des Gegenstandes ist gem. § 74 II 1 AO wesentlich am Unternehmen beteiligt, wenn er unmittelbar oder mittelbar mit mehr als 25 % am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen (Kapital) des Unternehmens beteiligt ist.

Beispiel 1

Herr Wein betreibt die Wein GmbH. Er ist Geschäftsführer und der alleinige Gesellschafter. Die Wein GmbH hält 40% der Anteile der Südmann GmbH.

  • Der Unternehmer, Herr Wein hält eine mittelbare Beteiligung an der Südmann AG von mehr als 25 %. Er ist daher wesentlich an der Südmann AG beteiligt.

Als wesentlich beteiligt gilt unabhängig von einer vermögensmäßigen Beteiligung, wer einen familiären, wirtschaftlichen oder gesellschaftsrechtlich beherrschenden Einfluss auf die Leitung des Unternehmens ausübt, sofern die Person tatsächlich dazu beiträgt, dass fällige Steuern nicht bezahlt werden.

8.3. Umfang der Haftung

Der Umfang der Haftung bestimmt sich nach zeitlichen, sachlichen und gegenständlichen Aspekten.

8.3.1. Sachlicher Haftungsumfang

Der sachliche Haftungsumfang bezieht sich auf diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht aus dem Betrieb des Unternehmens ergibt.

Bezeichnet werden sie als sog. betriebsbedingte Steuern. Zu ihnen gehören z.B. die

  • Umsatzsteuer
  • Gewerbesteuer oder
  • Verbrauchssteuer.

Nicht betriebsbedingte Steuern sind die

  • Einkommenssteuer
  • Körperschaftssteuer
  • Grundsteuer und
  • Steuerabzugsbeträge.

Dies sind Steuern, die auch bei einem Nichtunternehmer anfallen können.

Für steuerliche Nebenleistungen, wie Zinsen und Säumniszuschläge, wird nach § 74 AO nicht gehaftet.

8.3.2. Zeitlicher Haftungsumfang

Die betriebsbedingten Steuern müssen während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sein. Die Fälligkeit ist ohne Bedeutung.

In diesem Zeitraum muss der Gegenstand dem Unternehmen gedient haben. Es gilt das Stichtagsprinzip.

Beide Voraussetzungen müssen zur Begründung der Haftung zeitgleich vorliegen. Für die Geltendmachung der Haftung ist diese zeitliche Bedingung nicht mehr erforderlich. Die Haftung ist bereits entstanden, wenn die haftungsbegründeten Tatbestandsmerkmale eines Gesetzes erfüllt sind, das die Haftungsfolge vorsieht. Der Haftende kann später in Anspruch genommen werden. Die Haftungsgegenstände müssen aber weiterhin im Eigentum des Haftenden stehen

Beispiel 1

Herr Becker ist zu 34 % Gesellschafter der Müller-OHG. Für eine Erweiterung der Produktion stellt er der Gesellschaft am 01.04.2013 eine Fabrikhalle zur Verfügung. Die Halle wird ab dem 30.06.2014 nicht mehr benötigt. Herr Becker vermietet die Halle daher an jemand anders. In der Zeit der Nutzung war Herr Becker nicht nur wesentlich am Unternehmen beteiligt, seine Fabrikhalle hat dem Unternehmen auch gedient. Im Verlauf des Jahres 2015 stellt sich heraus, dass die Müller-OHG erhebliche Umsatzsteuerrückstände hat und zahlungsunfähig ist.

  • Herr Becker haftet für die Rückstände, die im Zeitraum vom 01.04.2013 bis zum 30.06.2014 entstanden sind. Die Haftung ist auf die Lagerhalle beschränkt und kommt nur in Betracht, wenn sie zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids noch im Eigentum von Herrn Becker steht. Diese Haftung entfällt, wenn Herr Becker die Lagerhalle zwischenzeitlich veräußert hat.

8.3.3. Gegenständlicher Haftungsumfang

Die persönliche Haftung ist auf den Gegenstand beschränkt. Der Eigentümer kann sich der Haftung nicht dadurch entziehen, dass er den Gegenstand nach Erlass des Haftungsbescheides veräußert, da Surrogate, die der Eigentümer als Ersatz für den Gegenstand erhalten hat, von der Haftung umfasst sind. Dazu gehört z.B. ein Veräußerungserlös oder Schadensersatz.

Beispiel 1

Frau Blumenthal hat ihr Fahrzeug der Global AG im März und April 2014 zur Verfügung gestellt. Sie ist an der Global AG selbst beteiligt ist. Im Mai 2014 wird sie Opfer eines Verkehrsunfalls, durch den ein Totalschaden an ihrem Fahrzeug entsteht. Frau Blumenthal erhält von der Versicherung des Schädigers als Schadensersatz eine Zahlung in Höhe des Wertes ihres Autos.

  • Ihre Haftung beschränkt sich von nun an nicht mehr auf ihr Fahrzeug, sondern auf den für das Fahrzeug gezahlten Schadensersatz.

Der Haftende muss die gegenständliche Beschränkung im Zwangsvollstreckungsverfahren einwenden, wenn er die geforderte Haftungssumme nicht bezahlt. Das Finanzamt kann nur in den Gegenstand vollstrecken. Darüber hinaus besteht keine weitere persönliche Haftung.

8.4. Haftungsbescheid

Der Erlass eines Haftungsbescheides gegen den Haftungsschuldner erfordert das Bestehen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis gegen den Steuerschuldner. Der Haftungsanspruch ist akzessorisch und kommt nur bei bestehender Steuerschuld in Betracht.

Der Haftungsbescheid muss

  • allen Anforderungen eines Verwaltungsaktes genügen
  • einen Hinweis auf die gegenständliche Beschränkung erhalten und
  • genau angeben, mit welchen konkreten Gegenständen gehaftet wird.

Er ist rechtmäßig, wenn

  • ein Haftungstatbestand erfüllt ist
  • keine Verjährung eingetreten ist
  • die Steuerschuld besteht und
  • kein Ermessensfehler vorliegt.

Andernfalls ist der Haftungsbescheid gem. § 125 I AO nichtig. Der Haftungsbescheid muss die volle Summe der rückständigen Steuern aufzeigen. Er ist von dem Finanzamt auszustellen, das die Steuerschuld des Steuerpflichtigen festsetzt (§ 24 AO). Erforderlich ist, dass der Haftungsbescheid eine Begründung erhält, warum das Finanzamt den Haftungsschuldner in Anspruch nimmt oder warum das Finanzamt unter mehreren Haftungsschuldnern den einen auswählt. Der Erlass steht ebenfalls in ihrem Ermessen, § 191 I 1 AO.

Der Haftungsbescheid kann auch vor Festsetzung der jeweiligen Steuer ergehen (§ 191 III 4 AO).

[1] Kapitel 8.2.4.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Haftung für Steuerschulden“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-39-7.


 

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Stand: Januar 2016


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Über die Autoren:

Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht

Portrait Carola-Ritterbach

Rechtsanwältin Carola Ritterbach absolviert derzeit den Fachanwaltskurs Steuerrecht. Sie berät Gesellschafter und Unternehmer bei der steuerlichen Gestaltung von Gesellschaften und Unternehmen. Sie begleitet Betriebsprüfungen und vertritt bei Finanzgerichtsstreitigkeiten mit dem Finanzamt oder vor Finanzgerichten.  Rechtsanwältin Ritterbach berät und vertritt bei Steuerselbstanzeigen und Steuerstrafverfahren.  Sie erstellt Unternehmensbewertungen und begleitet Unternehmenskäufe bzw. Unternehmensverkäufe aus steuerrechtlicher Sicht.
Sie berät bei der Gestaltung von Erbschaften und Schenkungen zur Vermeidung unnötiger Erbschaftssteuer und entwirft Vermögensübertragungskonzepte. 
Sie berät hinsichtlich steuerlicher Auswirkungen von Insolvenzen. Dabei prüft und beantragt sie Steuererlasse zum Zweck der Unternehmenssanierung oder für insolvente Steuerschuldner sowie die nachträgliche Aufteilung
on Steuern im Fall der Zusammenveranlagungen bei Insolvenzen einzelner Ehepartner.
Rechtsanwältin Ritterbach ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und ist seit vielen Jahren im Bereich Bankrecht tätig. Steuerliche Fragen bei Finanzierungsgeschäften treffen daher ihr besonderes Interesse.

Carola Ritterbach hat im Steuerrecht veröffentlicht:

  • Bilanzierung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-49-6
  • Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen, Monika Dibbelt, Carola Ritterbach und Alexander Mayr, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9
  • Die strafbefreiende Selbstanzeige, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2
  • Besteuerung Personengesellschaften, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Jens Bierstedt LL.M., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-52-6
  • Steuerberaterhaftung, Carola Ritterbach, Monika Dibbelt und Anika Wegner, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-51-9
  • Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht: Das Recht der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Möglichkeiten zur Verringerung der Steuerbelastung bei Erbschaften und Schenkungen, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-16-8,
  • Die Haftung für Steuerschulden, 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-39-7

Weitere Veröffentlichungen von Rechtsanwältin Ritterbach im Steuerrecht sind in Vorbereitung, so

  • Änderung von Steuerbescheiden – Wann darf das Finanzamt einen Steuerbescheid aufheben oder korrigieren

Carola Ritternach ist Dozentin für Steuerrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im Deutschen Anwaltsverein.
 Sie bietet Vorträge und Seminare unter anderem zu folgenden Themen an:

  • Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer vermeiden
  • Wahl der Gesellschaftsform unter Steuergesichtspunkten
  • Lohnsteuer- und Umsatzsteuerhaftung des Geschäftsführers
  • Mindestlohn – Worauf hat der Steuerberater zu achten
  • Die Umsatzsteuer – eine kauf- und leasingrechtliche Betrachtung
  • Die steuerliche Organschaft – Was wird wo versteuert?
  • Die Besteuerung ausländischer Einkünfte – Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Kapitalanlagen oder Geschäftsführergehälter

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Normen: § 191 AO, § 125 AO, § 74 AO, § 39 AO

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