Int. Vertragsrecht - Teil 27 - Formvorschriften I

7.2 Formvorschriften

Während Art. 10 Rom I-VO die Frage klärt, wann ein internationaler Vertrag wirksam zustande kommt, regelt Art. 11 Rom I-VO, welche Formvorschriften ein solcher Vertrag erfüllen muss, um gültig zu sein. Mangelt es an einer ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien nach welchem Recht sich die Formvorschriften bestimmen, so sind sie abhängig von der Vertragsart und dem Aufenthaltsort der Parteien nach Art. 11 Abs. 1 - 5 Rom I-VO zu bestimmen. Unterschieden wird dabei in:

  • Platzgeschäfte (Abs. 1)
  • Distanzgeschäfte (Abs. 2)
  • Einseitige Rechtsgeschäfte (Abs. 3)
  • Verbraucherverträge (Abs. 4)
  • Grundstücksverträge (Abs. 5).

7.2.1 Platzgeschäfte

Ein Platzgeschäft iSd Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO liegt vor, wenn sich die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrags im selben Staat befinden. Bedienen sich die Parteien zum Vertragsabschluss Vertreter, so ist deren Aufenthaltsort ausschlaggebend. Platzgeschäfte sind formgültig, wenn sie eine der folgenden zwei Voraussetzungen erfüllen:

  • Entweder erfüllt der Vertrag die Formerfordernisse des auf den Vertrag gem. Art. 3 - 8 Rom I-VO ermittelten Rechts (Geschäftsrecht), oder
  • Er erfüllt die Formerfordernisse des Rechts des Staates in dem sich die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses befinden (Ortsrecht).

Konkret reicht es also aus, wenn der Vertrag den Formerfordernissen seines Vertragsstatuts genügt. Vereinbaren die Vertragsparteien bspw., dass auf den Vertrag deutsches Rechts auf einen Vertrag anzuwenden sei, so bemisst sich die Formgültigkeit des Vertrags auch nach deutschem Recht. Um den Parteien entgegen zu kommen und der gemeinsamen Wahl des Abschlussortes Rechnung zu tragen ist der Vertrag bei Platzgeschäften aber alternativ bereits formgültig, wenn er den Formerfordernissen des Abschlussortes entspricht.

Beispiel
Die private englische Galerie A möchte von der Frankfurter Bank B eine in ihrem Eigentum befindliche antike Büste erwerben. Daher bringt B die Büste anlässlich einer internationalen Kunstausstellung nach London, wo A sie gründlich in Augenschein nehmen kann. Als A die Authentizität des Kunstwerks überzeugt wurde, schließen die Parteien noch vor Ort einen Kaufvertrag über die Büste ab. Nach welchem Recht bestimmen sich die Formerfordernisse des Vertrags, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben?

  • Die Formerfordernisse eines internationalen Vertrags bemessen sich gem. Art. 11 Abs. 1 bei Platzgeschäften entweder nach dem Recht des Vertragsstatuts oder nach dem Recht des Orts an dem der Vertrag geschlossen wurde. Fehlt es bei einem internationalen Kaufvertrag über bewegliche Sachen an einer ausdrücklichen oder konkludenten Rechtswahl, so ist gem. Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt pflegt. Dies ist vorliegend Frankfurt, daher muss der Vertrag grundsätzlich nach deutschem Recht formgültig sein. Da der Vertrag in England geschlossen wurde ist der Vertrag aber auch dann schon wirksam, wenn er die englischen Formerfordernisse erfüllt.

7.2.2 Distanzgeschäfte

Im Gegensatz zu Platzgeschäften liegt ein Distanzgeschäft vor, wenn die Vertragsparteien bzw. ihre Vertreter sich beim Vertragsschluss nicht im gleichen Staat befinden. In diesen Fällen bemessen sich die Formerfordernisse nach dem durch Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO definierten Recht, das den Parteien bzgl. ihrer vertraglichen Formerfordernisse einen noch weiteren Spielraum bietet als dies bei Platzgeschäften der Fall ist. Demnach sind Distanzgeschäfte formgültig, wenn sie:

  • Die Formerfordernisse des auf sie anwendbaren Vertragsstatuts erfüllen, oder
  • Die Formerfordernisse eines der Staaten erfüllen, in dem sich die Vertragsparteien bzw. ihre Vertreter bei Vertragsschluss aufhalten, oder
  • Die Formerfordernisse am gewöhnlichen Aufenthalt von einer der Vertragsparteien erfüllt sind.

Beispiel
Der in den Niederlanden lebende Unternehmer A ist Mandant des in Luxemburg ansässigen Anwalts B. Als A auf einer Geschäftsreise nach Frankreich dessen juristische Expertise benötigt, kontaktiert er den sich gerade im Urlaub in Belgien befindlichen B und schließt mit ihm einen Beratungsvertrag ab. Die Vergütung des B soll nach dem deutschen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) erfolgen. Die Formerfordernisse welchen Rechts sind für den Vertrag maßgeblich?

  • Da sich die Vertragsparteien A und B zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in unterschiedlichen Staaten befinden liegt ein Distanzgeschäft vor. Welches Recht für die Ermittlung der Formerfordernisse ausschlaggebend ist ergibt sich folglich aus Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO. Dies ist zunächst das auf den Vertrag anzuwendende Recht, das Vertragsstatut. Zwar haben die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen. Da sie sich bzgl. der Vergütung aber explizit auf deutsches Recht bezogen haben (Bezugnahmeklausel), liegt eine konkludente Wahl deutschen Rechts vor. Darüber hinaus ist der Vertrag formgültig, wenn er den Formvorschriften eines der beiden Staaten genügt, in denen sich die Parteien bei Vertragsschluss befunden haben. Dies sind vorliegend Belgien und Frankreich. Ebenfalls genügt es, wenn die Formerfordernisse am gewöhnlichen Aufenthalt einer der Vertragsparteien erfüllt sind. Daher sind auch die niederländischen und luxemburgischen Voraussetzungen zu beachten.
  • Im Endergebnis bedeutet das also, dass der Vertrag formgültig ist, wenn er entweder die für den Vertrag bestehenden Formerfordernisse nach deutschem, belgischen, französischen, luxemburgischen oder niederländischen Recht erfüllt.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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