Int. Vertragsrecht - Teil 18 - Art. 5 - 8 Rom I-VO

6 Verträge iSd Art. 5 – 8 Rom I-VO

Wie bereits angesprochen findet Art. 4 Rom I-VO keine Anwendung, wenn zwar keine ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl iSd Art. 3 Rom I-VO besteht, der Vertrag aber einem der in Art. 5 - 8 Rom I-VO aufgelisteten Vertragstypen entspricht, für die in den jeweiligen Artikeln besondere Regeln zum anwendbaren Recht normiert sind.

6.1 Beförderungsverträge

6.1.1 Grundsätzliches

Art. 5 Rom I-VO befasst sich mit Verträgen über die Beförderung von Gütern (Abs. 1) und Personen (Abs. 2), für die jeweils spezielle Regeln gelten. Grundsätzlich bemisst sich das anwendbare Recht bei Güterbeförderungsverträgen nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Beförderers, bei der Personenbeförderung nach dem der beförderten Person.[1] Zudem muss beachtet werden, dass bei Personenbeförderungsverträgen die Rechtswahl gem. Art. 5 Abs. 2 Rom I-VO eingeschränkt wird (s. unten). Parallel zu den Vorschriften des Art. 4 Rom I-VO besteht auch für Beförderungsverträge gem. Art. 5 Abs. 3 Rom I-VO eine Ausweichklausel, nach der bei offensichtlich engerer Verbindung zum Recht eines anderen Staates stattdessen dieses angewendet wird. Handelt es sich bei dem Beförderungsvertrag um einen Verbrauchervertrag, so gehen die Regelungen über Beförderungsverträge (Art. 5) denen über Verbraucherverträge (Art. 6) als speziellere Norm vor.[2]

6.1.2 Güterbeförderung

Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO regelt die anwendbaren Regeln auf grenzüberschreitende Güterbeförderungsverträge. Davon umfasst sind alle Verträge mit Auslandsbezug, durch den die Beförderung von Gütern organisiert oder durchgeführt wird.[3] Das bedeutet, dass sowohl Fracht-, Speditions- als auch Charterverträge von Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO abgedeckt werden.[4]

6.1.2.1 Vorrang internationaler Abkommen

In der Praxis spielt die Rom I-VO für die Güterbeförderung jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Wie bereits in Kapitel 3.3 ausgeführt wurde, finden internationale Abkommen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rom I-VO bestanden haben, vorrangige Anwendung. Liegen die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit eines solchen Abkommens vor, so ist die Anwendung der Rom I-VO gem. Art. 25 Rom I-VO also ausgeschlossen und es gelten die Vorschriften des Abkommens. Dies ist im Bereich des internationalen Gütertransports besonders relevant, da es mehrere wichtige völkerrechtliche Abkommen gibt, die ein international einheitliches Recht für Güterbeförderungsverträge formulieren:

  • Das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr von 1956 (CMR)
  • Das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr von 1980 (COTIF)
  • Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt v. 22.6.2001 (CMNI)
  • Das Montrealer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr von 1999
6.1.2.2 Anwendbares Recht

Sofern kein internationales Abkommen Vorrang genießt, kommt auf Güterbeförderungsverträge jedoch Art. 5 Rom I-VO zur Anwendung. Gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO sind die Parteien bei der Wahl des anwendbaren Rechts frei, das heißt es gelten lediglich die für Art. 3 Rom I-VO geltenden allgemeinen Beschränkungen (s. Kapitel 4.3). Bei mangelnder Rechtswahl findet gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Beförderers Anwendung, sofern sich in diesem Staat der Übernahme-, der Ablieferungsort der beförderten Güter oder der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders befindet.

"Absender" iSd Art. 5 Rom I-VO ist der Auftraggeber, also die Person, mit der der Beförderer den Beförderungsvertrag abschließt.[5] "Beförderer" ist wiederum die Vertragspartei, die sich dazu verpflichtet, die Beförderung durchzuführen.[6] Nicht relevant ist, ob der Beförderer die Beförderung dann auch tatsächlich selbst durchführt oder ein anderes Unternehmen damit beauftragt.

Beispiel
Ein Berliner Unternehmen A schließt mit einem Spediteur B mit Sitz in Frankreich einen Vertrag über die Organisation eines Gütertransports von Berlin nach Paris ab. Der französische Spediteur beauftragt wiederrum ein polnisches Transportunternehmen C mit der tatsächlichen Durchführung der Güterbeförderung. Welches Recht ist auf den Speditionsvertrag anzuwenden, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben und kein internationales Abkommen Vorrang genießt?

  • Dadurch, dass die Parteien einen Vertrag über die Organisation eines Gütertransports abgeschlossen haben liegt ein Speditionsvertrag zwischen A und B vor. Da für diesen keine Rechtswahl getroffen wurde bemisst sich das auf den Vertrag anwendbare Recht nach Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO. Es kommt also auf das Recht des Staates an, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Vorliegend hat sich das französische Unternehmen B dazu verpflichtet, den Transport der Sache zu organisieren. Daher ist B im Rahmen des Vertrags Beförderer. Inwieweit ein anderes Unternehmen mit dem tatsächlichen Gütertransport beauftragt wird, ist für den Vertrag zwischen A und B irrelevant. Da sich der Ablieferungsort am gewöhnlichen Aufenthalt des Beförderers, nämlich in Frankreich, befindet ist gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO auf den Vertrag französisches Recht anzuwenden.

Sofern sich der Übernahme-, der Ablieferungsort der beförderten Güter oder der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders sich allerdings nicht in dem Staat befinden, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, so ist gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO das Recht am vereinbarten Ablieferungsort anzuwenden.

Beispiel
Das Berliner Unternehmen A schließt erneut einen Speditionsvertrag mit dem französischen Unternehmen B. Dieses Mal sollen jedoch Güter von der belgischen Zweigfiliale des Unternehmens A in Brüssel zu einem niederländischen Kunden nach Rotterdam gebracht werden. Welches Recht ist mangels Rechtswahl anzuwenden?

  • Im Unterschied zum vorigen Beispiel befindet sich der Ablieferungsort Rotterdam nicht in Frankreich, also nicht im gleichen Staat in dem der Beförderer B seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Auch der Übernahmeort Brüssel und der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders Berlin liegen nicht in Frankreich. Daher ist nicht das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Beförderers, sondern gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO die Rechtsordnung des Staates anzuwenden, in dem der vereinbarte Ablieferungsort liegt. Daher findet vorliegend niederländisches Recht auf den Vertrag Anwendung.

[1] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 63.

[2] Art. 6 Abs. 1, Abs. 4 lit. b Rom I-VO.

[3] Erwägungsgrund 22 Rom I-VO.

[4] Erwägungsgrund 22 Satz 2 Rom I-VO.

[5] Erwägungsgrund 22 Rom I-VO.

[6] Erwägungsgrund 22 Rom I-VO.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Portrait Tilo-Schindele

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Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

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