Int. Vertragsrecht - Teil 16 - Auffangklausel

5.2.2.1 Gemischte Verträge

Lässt sich ein Vertrag nicht nur in eine, sondern in mehrere Kategorien der Art. 4 Abs. 1 lit. a - h Rom I-VO einordnen, spricht man von gemischten Verträgen. Diese liegen immer dann vor, wenn ein einheitlicher Vertrag besteht bei dem sich mindestens eine der Parteien zu mehreren Leistungen verpflichtet, die verschiedenen in Art. 4 Abs. 1 lit. a - h Rom I-VO aufgeführten Vertragstypen entsprechen.[1] Das gleiche gilt, wenn die vertraglich vereinbarte Leistung und Gegenleistung in verschiedene Kategorien fallen oder mehrere Vertragstypen miteinander vermischt werden.[2] In diesen Fällen ist gem. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO für die Rechtswahl an den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Partei anzuknüpfen, welche die für den Vertrag typische Leistung erbringt.[3]

Beispiel
Der Geschäftsmann A mit Sitz in Deutschland befindet sich auf einer Geschäftsreise zu einem slowakischen Unternehmen in Bratislava. Dort angekommen verabredet A mit dem slowakischen Unternehmen einen Vertrag über den Kauf einer technischen Anlage und verpflichtet sich gleichzeitig, für sie an seinem deutschen Sitz eine fünftägige Schulung über die Wartung und Pflege der Maschine abzuhalten. Für die Leistungen wird ein Gesamtpreis von 50.000 EUR vereinbart. Die Anwendung von UN-Kaufrecht wurde ausgeschlossen. Welches Recht ist bei fehlender Rechtswahl auf diesen Vertrag anzuwenden?

  • Da weder eine Rechtswahl iSd Art. 3 Rom I-VO noch ein Sondervertrag iSd Art. 5 - 8 Rom I-VO vorliegt, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach den Anknüpfungspunkten des Art. 4 Rom I-VO.
  • Vorliegend beinhaltet der Vertrag sowohl eine Verpflichtung des deutschen Geschäftsmanns zur Übergabe und Übereignung der technischen Anlage (Kaufvertrag iSd Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO) als auch zur Abhaltung einer Schulung des (Dienstleistungsvertrag iSd Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO). Da er somit Elemente mehrerer Katalogverträge beinhaltet, die in einen Vertrag zusammengefügt wurden, ist er als gemischter Vertrag zu behandeln, sodass Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO einschlägig ist. Demnach ist das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Leistungserbringers auf den Vertrag anzuwenden.
  • Vorliegend ist A derjenige, der die technische Anlage übereignen muss und der auch die Schulung für das slowakische Unternehmen abhält. Daher ist auf seinen gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen. Da er sich nur im Zuge einer Geschäftsreise in Bratislava aufhält und seinen Sitz ansonsten in Deutschland hat, ist auf den Vertrag deutsches Recht anzuwenden.

5.2.2.2 Sonstige Verträge

Für alle sonstigen Verträge gilt Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO entsprechend. Wenn also keine Rechtswahl von den Parteien getroffen wurde und weder einer der in Art. 5 - 8 Rom I-VO noch einer der in Art. 4 Abs. 1 lit. a - h Rom I-VO genannten Vertragstypen vorliegt, bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem Aufenthaltsort des Leistungserbringers. Umfasst sind davon insbesondere Verträge, die folgenden Inhalt haben[4]:

  • Rechtskauf (Aufenthaltsort des Verkäufers),
  • Miete und Pacht an beweglichen Sachen (Aufenthaltsort des Vermieters/Verpächters)
  • Bürgschaften (Aufenthaltsort des Bürgen)
  • Darlehen (Aufenthaltsort des Darlehensgebers)
  • Verträge über geistiges Eigentum (Aufenthaltsort des Urhebers/Lizenzgebers)
  • Schenkungen (Aufenthaltsort des Schenkers).

Beispiel
Eine deutsche Bank gewährt einem belgischen Landwirt ein Darlehen. Welches Recht ist auf den Darlehensvertrag anzuwenden, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben?

  • Gem. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO ist das Recht des Staates, in dem die leistungserbringende Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat auf den Vertrag anzuwenden. Da in diesem Fall die deutsche Bank die Leistung (d.h. das Darlehen) erbringt ist auf den Vertrag deutsches Recht anzuwenden.

[1] Martiny in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, 2. Teil, Rn 2.158.

[2] Martiny in: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, 2. Teil, Rn 2.158.

[3] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 60.

[4] Vgl. Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 59.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

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