Handelsvertreterausgleich – Teil 14 – Berechnung im Einzelfall

Beispiel (Fußnote)
Tankstellenbetreiber T führt eine Tankstelle der Gesellschaft X in der Kleinstadt A. T ist seit Jahren in unzähligen Lokalvereinen tätig und daher stadtbekannt. Zwar ist er zufrieden mit der X als Geschäftspartnerin, trotzdem eröffnet er in der Kleinstadt eine zusätzliche freie Tankstelle. Zu dieser freien Tankstelle wandern mehr und mehr Kunden ab. Wenig später beenden X und T ihr Vertragsverhältnis einvernehmlich. Hier ist aufgrund der besonderen Umstände eine höhere Abwanderungsquote zu erwarten. Folglich kann die Quote höher gesetzt werden, beispielsweise auf 30 %. Eine höhere Abwanderungsquote hat niedrigere Unternehmensvorteile und somit einen niedrigeren Ausgleichsanspruch zur Folge.

  • Der Pauschalwert von 20 % kann widerlegt werden.

5.2.3.4 Berechnung im Einzelfall

Auf Grundlage der prognostizierten Abwanderungen können nun im Einzelfall die Unternehmervorteile ermittelt werden, die die Grundlage der Ausgleichshöhe bilden.
Legt man eine Abwanderung der Stammkunden von 20 % pro Jahr zugrunde, verbleiben der Tankstellengesellschaft nach dem Ausscheiden des Betreibers im ersten Jahr 80 %, im zweiten Jahr 60 %, im dritten Jahr 40 %, im vierten Jahr 20 %, bis dann nach fünf Jahren 0 % der Stammkunden vorhanden sind. Nach der fiktiven Prognose haben sich damit nach fünf Jahren alle geworbenen Stammkunden verflüchtigt, sodass es ab diesem Zeitpunkt rechnerisch keine Unternehmervorteile mehr gibt (Fußnote).
Die Rechnung ist dann fortzudenken: Im ersten Jahr nach seinem Ausscheiden entgehen dem Tankstellenbetreiber damit 80 % der geworbenen Kunden (Fußnote), im zweiten Jahr 60% der Kunden und so weiter.
Addiert man diese Verluste ergibt dies im Prognosezeitraum ein Wert von 200 %. Damit entgehen dem Tankstellenbetreiber 200 % Provision, die wiederum der Tankstellengesellschaft in eben dieser Höhe als Vorteile hinzufließen (Fußnote).
Der Höhe nach werden 200 % der Provision im letzten Prognosezeitraum (in der Regel die letzten zwölf Monate) als Grundlage des Ausgleichsanspruchs angesetzt.

Beispiel
Im obigen Beispiel beenden X und T das Vertragsverhältnis, ohne dass T eine freie Tankstelle eröffnet hat. T erhielt im letzten, wie auch in den vier Jahren zuvor eine Provision in Höhe von 120.000 €, von denen wiederum 100.000 € auf die Stammkunden zurückfallen. T fragt sich, wie hoch sein Ausgleichsanspruch ausfallen wird. Wie gerad erörtert, ist Grundlage für die Berechnung die Unternehmervorteile aus den Stammkunden.
Im ersten Jahr verbleiben X nach der fiktiven Abwanderungsquote der Rechtsprechung noch 80 % der Stammkunden, also eine Absatzmenge von 80 %, im nächsten Jahr verbleiben noch 60 % usw.
Addiert man die Unternehmervorteile, ergibt dies 200.000 € (80.000 + 60.000 + 40.000 + 20.000), also umgerechnet die doppelte, sich aus Umsätzen mit Stammkunden ergebende Provision.

  • Die Provisionsverluste sind das Spiegelbild der Unternehmervorteile.

Wie bereits erörtert ist eine Abwanderungsquote von 20 % die Regel, kann indes bei schwächerer oder stärkerer Abwanderung angepasst werden (Fußnote). Ob die pauschale Abwanderungsquote zeitgemäß ist (Fußnote), wird in der Literatur diskutiert (Fußnote). Der BGH hat zu dieser Frage im Jahre 2009 Stellung genommen und die Notwendigkeit einer Anpassung verneint (Fußnote). Dennoch verbleibt es dabei, dass die pauschale Quote nicht „in Stein gemeißelt ist“ und ein Richter im Prozess aufgrund seines Schätzungsermessens nach § 287 Abs. 2 ZPO eine andere Quote festlegen kann. Insbesondere wenn die Parteien keine andere Quote belegen können, wird der Richter regelmäßig die höchstrichterliche Abwanderungsquote von 20 % seiner Berechnung zugrunde legen. Die Prognoseentscheidung des Tatrichters erfolgt im Prozess zum Zeitpunkt der Beendigung des Tankstellenvertrages (Fußnote), mit der Folge, dass später eintretende Umstände bei der Entscheidung nicht in Betracht kommen (Fußnote).

Beispiel

Tankstellenbetreiber T beendet seinen Vertrag mit der Mineralölgesellschaft M wirksam zum 31.12.2019. So einvernehmlich die Beendigung doch war, so intensiv streiten T und M sich nach Beendigung um die Höhe des Ausgleichsanspruchs. Bei Beendigung des Vertrages ergaben sich hinsichtlich der Abwanderungsquote keine Besonderheiten. Kurz bevor M dem T seinen Ausgleich ausbezahlen wollte, kündigt Konkurrent K an, zum 01.08.2020 eine Tankstelle in der Nähe zu eröffnen, was zuvor nicht absehbar war. M prognostiziert daher eine höhere Abwanderungsquote von 40 % und will den Anspruch des T kürzen. Dieser meint, er könne nichts für den nachträglichen Entschluss der Gesellschaft K.
Kommt es zum Prozess, hat der zuständige Richter seine Prognose im Zeitpunkt des 31.12.2019 vorzunehmen. Da sich in diesem Fall keinerlei Anzeichen für das Hinzutreten des Konkurrenten K ergaben, wird er die Höhe des Ausgleichsanspruchs vermutlich nicht nach unten anpassen.

  • Bewertungszeitpunkt der Abwanderungsquote ist der Zeitpunkt der Vertragsbeendigung.

Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Handelsvertreterausgleich für Tankstellenpächter“ von Harald Brennecke, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-026-7.


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Über die Autoren:

Harald Brennecke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

Portrait Harald-Brennecke

Rechtsanwalt Harald Brennecke ist seit Jahren im Bereich Franchiserecht und dem weiteren Vertriebsrecht tätig. Er gestaltet Franchisekonzepte und berät Franchisegeber beim Aufbau von Franchisesystemen und verwandten Partnerkonzepten. Neben der Prüfung von Franchiseverträgen namhafter bundesweiter Franchisegeber für verschiedene Franchisenehmergruppen hat er Erfahrung mit der Erstellung von Einzel-Franchiseverträgen wie Masterfranchiseverträgen.
Rechtsanwalt Brennecke berät hinsichtlich der Durchsetzung und den Grenzen der Franchisepflichten. Er vertritt bei Streitigkeiten der Franchisevertragspartner und bei der Kündigung des Franchisevertrages. Er begleitet Franchisenehmer und Franchisegeber bei der Einführung von zentralen Datenhaltungen, insbesondere unter dem oft übersehenen Blickwinkel des Datenschutzes.

Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Bereich Franchiserecht und Vertriebsrecht veröffentlicht:

  • "Franchiserecht - Eine Einführung in das Recht des Franchising", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-15-1
  • "Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-04-5
  • "Die Provision des Handelsvertreters – Eine Einführung", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-14-4
  • "Die Wettbewerbsabrede nach Beendigung des Handelsvertretervertrages", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8

Rechtsanwalt Brennecke ist Dozent für Franchiserecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Franchisesysteme gründen – weitsichtige Planung von Franchise- und Partnersystemen
  • Datenschutz in Franchisesystemen – das unterschätzte Problem
  • Grundlagen der Franchise – wie Franchisenehmer gute Franchisesysteme erkennen
  • Schuldübernahme des vorhergehenden Franchisenehmers nach 25 HGB als Risiko bei der Fortführung Franchisestandorte durch neue Franchisenehmer

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