Arztpraxis – Kauf und Übergang – Teil 09 – Ordentliche Kündigung

bb. Kündigungsgrund

Nach § 1 I KSchG ist zu beachten, dass die Kündigung für den Fall, dass das Kündigungsschutzgesetz im Rahmen des Überganges Anwendung findet, gerechtfertigt sein muss, um ihre rechtsgestaltende Wirkung zu entfalten, also nicht sozial ungerechtfertigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung dann, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Im Einzelnen bedeutet dies:

  • eine personenbedingte Kündigung beruht auf Eigenschaften des Arbeitnehmers, die nicht zu seiner Disposition stehen, z.B. Krankheit
  • bei einer betriebsbedingten Kündigung ist der Arbeitsplatz aus dringenden betrieblichen Gründen entfallen (unternehmerische Entscheidung)
  • eine verhaltensbedingte Kündigung liegt bei grundsätzlich allen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers aus dem Leistungsbereich, Vertrauensbereich, Unternehmensbereich und den Nebenpflichten vor.

In der Praxis sind zwei Fälle von Bedeutung:

1. Der Übergang der Arztpraxis könnte von einer Reduzierung der Mitarbeiterzahl abhängen. Der Erwerber der Arztpraxis macht einen zuvor durchgeführten Personalabbau zur Voraussetzung der Praxisübernahme. Die ausgesprochenen Kündigungen sind in diesem Falle dann wirksam, wenn der Praxisübergang allein noch von solch vorherigen Kündigungen abhängt und sachliche Gründe dafür sprechen, dass nicht die gesamte Belegschaft übernommen werden kann. Diese müssen bereits konkrete Formen angenommen haben[1]. Kündigungsgrund ist dann nicht der Betriebsübergang an sich, sondern die geplante Rationalisierung[2]. Es liegt daher nicht eine Kündigung aus Anlass des Betriebsüberganges vor, die in einem solchen Übergangsfalle nichtig wäre.

2. Der betroffene Arbeitnehmer könnte beim bisherigen Arztpraxisinhaber im Rahmen eines Übergangs der gesamten Praxis nicht mehr beschäftigt werden. Widerspricht der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Arztpraxisinhaber rechtzeitig, so kann er aber aufgrund des Übergangs der gesamten Arztpraxis nicht mehr vom bisherigen Inhaber beschäftigt werden. Hier ist eine Kündigung des Arbeitnehmers möglich; diese ist als betriebsbedingte Kündigung zu qualifizieren[3].

cc. Sozialauswahl

Bei einer betrieblichen Kündigung ist zusätzlich auf die Notwendigkeit der Sozialauswahl hinzuweisen. Es müssen gem. § 1 III KSchG zur Bejahung der sozialen Gerechtigkeit bei der Auswahl des Arbeitnehmers die dort aufgeführten Kriterien:

  • Dauer der Betriebszugehörigkeit,
  • das Lebensalter,
  • die Unterhaltungspflicht
  • und eine eventuelle Schwerbehinderung des Arbeitnehmers

berücksichtigt werden (= Sozialauswahl). Es besteht aber die Möglichkeit, einzelne Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen. So kann der Arbeitgeber bei der Auswahl Arbeitnehmer herausnehmen, deren Weiterbeschäftigung "im berechtigten betrieblichen Interesse" liegt, § 1 III Satz 2 KSchG. Zwar gilt das Kündigungsschutzgesetz nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 10 Mitarbeitern (für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis bereits vor dem 31.Dezember 2003 begonnen hat, gilt eine Mitarbeiteranzahl von mehr als fünf Mitarbeitern). Aus diesem Grund ist auch erst nach Erreichen dieser Grenzen eine Sozialauswahl der oben beschriebenen Art vorzunehmen.

dd. Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz

Speziell bei der Sozialauswahl ist der Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten. Dazu ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) - besser bekannt als Antidiskriminierungsgesetz - in Kraft getreten. Der deutsche Gesetzgeber kam mit diesem Gesetz seiner Verpflichtung aus vier Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft zum Schutz vor Diskriminierungen nach.

(1) individueller Schutzbereich des Arbeitnehmers

Jeder Arbeitgeber, so auch der Arztpraxisinhaber ist nach dem AGG verpflichtet, Arbeitnehmer vor den folgenden Diskriminierungsgründen (§ 1 AGG) zu schützen:

  • Rasse oder ethnische Herkunft
  • Geschlecht
  • Religion oder Weltanschauung
  • Behinderung
  • Alter
  • Sexuelle Identität

(2) personeller Schutzbereich

Der Schutzbereich des AGG bezieht sich nicht nur auf Arbeitnehmer, sondern auch auf Auszubildende und leitende Angestellte.

(3) Umfang des Schutzes

Die Mitarbeiter werden vom AGG vom Beginn des Bewerbungsgespräches bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses geschützt. Dies bedeutet einen umfassenden Schutz der verschiedenen Arbeitnehmergruppen vom Zeitpunkt der Stellenausschreibung an, über das Bewerbergespräch, hin zum Arbeitsvertrag, der beruflichen Tätigkeit und der späteren Kündigung.

Das AGG soll vor verschiedene Verhaltensweisen schützen. Dazu zählen:

  • die unmittelbare Benachteiligung
  • die mittelbare Benachteiligung
  • die Belästigung
  • sowie die sexuelle Belästigung

Zur Erklärung:

Von einer unmittelbaren Benachteiligung spricht man bei einer weniger günstigen Behandlung als andere Personen in einer vergleichbaren Position. Bei zwei gleich qualifizierten Bewerbern wird beispielsweise der jüngere der Bewerber mit der Begründung eingestellt, man wolle ein junges Team zusammenstellen. In diesem Fall ist von einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Alters auszugehen.

Von einer mittelbaren Benachteiligung geht man hingegen aus, wenn die Anwendung einer dem Anschein nach neutralen Vorschrift zu einer Benachteiligung führt. Ein typisches Bespiel dazu ist die in einer Betriebsanweisung schriftlich fixierte Gewährung von Zuwendungen an Ehepaare. In einem solchen Falle wird homosexuellen Paaren oder eingetragenen Lebensgemeinschaften die Zuwendung nicht gewährt und sie werden zu den begünstigten Ehepaaren ungleich behandelt.

Bezweckt oder bewirkt eine Verhaltensweise die Verletzung der Würde der betreffenden Person und führt dies zu einer Einschüchterung, Anfeindung, Erniedrigung oder Beleidigung, ist von einer Belästigung auszugehen. Der spezielle Fall der sexuellen Belästigung führt durch ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten zu einer Verletzung der Würde der betreffenden Person.

Insbesondere im Rahmen der Sozialauswahl ist eine unmittelbare Benachteiligung eines Mitarbeiters zu vermeiden. Es dürfen beispielsweise nicht ältere Mitarbeiter mit der Begründung gekündigt werden, es sei ein junges Team in der Praxis erwünscht, oder ein männlicher Mitarbeiter sei grds. nicht als Arzthelfer geeignet.

(4) Rechtsfolge

Bei einem Verstoß gegen das AGG ist zu prüfen, ob nicht ein wichtiger Grund die Benachteiligung rechtfertigt. Dazu müssen wesentliche, entscheidende und angemessene Anforderungen vorliegen, die einen rechtmäßigen Zweck verfolgen. Sobald der betreffende Arbeitnehmer Indizien für eine Ungleichbehandlung geltend macht, trägt der Arbeitnehmer die Beweislast für das Vorliegen einer Rechtfertigung.

Kann der Arbeitnehmer die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen, so ist die von ihm vorgenommene Handlung nichtig. Der betreffende Arbeitnehmer kann die Fortsetzung der Tätigkeit verweigern und sich bei der Beschwerdestelle beschweren. Der Arbeitgeber kann zur Zahlung von Schadensersatz und einer Entschädigung verpflichtet werden.


[1] BAG NJW 1984, 627, 630

[2] Münchner-Kommentar-Müller-Glöge, § 613 a RdNr. 190 f; BAG, BB 1996, 2305

[3] BAG NZA 1990, 32

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arztpraxis – Kauf und Übergang“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Michael Kaiser, auf Arztrecht spezialisierter Rechtsanwalt, und Carola Ritterbach, auf Steuerrecht spezialisierte Rechtsanwältin, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-53-3.


 

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Stand: Januar 2016


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Rechtsanwalt Michael Kaiser hat veröffentlicht:

  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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