Arzthaftung – Teil 07 – Schmerzensgeld

3.3 Schmerzensgeld

Seit der Einführung der 2. Änderung des Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften schuldet der Arzt nicht mehr nur aus der deliktischen Haftung Schmerzensgeld, sondern auch aus der vertraglichen. Für den Patienten bietet das den Vorteil, dass der Arzt sich im Rahmen der vertraglichen Ansprüche nicht exkulpieren, also aus der Verantwortlichkeit entschuldigen, kann. Für den vertraglichen Anspruch ist es zudem gleichgültig, ob der Anspruch wegen der Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht besteht; die für den Schadensersatzanspruch geltenden Regelungen bezüglich der Beweislasterleichterung und -umkehr und der Zurechnung von Gehilfen werden ebenso auf den Schmerzensgeldanspruch angewendet (Fußnote).
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Behandler sind zum einen das haftungsbegründende Verschulden, also die Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag oder aus Delikt, sowie dadurch die Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit des Patienten. Aus dieser Verletzung muss zuletzt auch ein Schaden für den Patienten eingetreten sein.
Das Schmerzensgeld stellt für nicht materielle Schäden eine Entschädigung für den Patienten in Geld dar. Diese Entschädigung soll zum einen einen angemessenen Ausgleich für Schäden bieten, die nicht schadensersatzfähig sind und in gewissem Maß die Möglichkeit bereiten, Erleichterungen zu ermöglichen. Zum anderen soll das Schmerzensgeld eine Genugtuungsfunktion haben, der Geschädigte soll einen Ausgleich dafür erhalten, was der Schädiger ihm angetan hat. Nicht-materielle Schäden sind z.B.:

  • Erlittene Schmerzen
  • Entgangene Lebensfreude
  • Einschränkungen in der Lebensqualität
  • Gravierende unfreiwillige Änderungen des Lebensstils

3.3.1 Beispiele für die Höhe des Schmerzensgeldes im ärztlichen Bereich

In den letzten Jahrzehnten ist die Höhe des Schmerzensgeldes stetig gestiegen. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass sich das Pflichtenprogramm für Ärzte und Krankenhausträgers immer mehr erweitert hat, zum anderen aber auch damit, dass die Gerichte Einbußen in zunehmendem Umfang als ersatzfähig betrachten (Fußnote).

Beispiel Schmerzensgelder
Patient X erleidet infolge eines Behandlungsfehlers eine schwere Hirnschädigung.

  • Das Schmerzensgeld, das einem Patienten im Jahr 1990 dafür zugesprochen wurde, belief sich auf 75.000 Euro (Fußnote). Die Begründung für die - im Verhältnis zur Schädigung - relativ niedrige Höhe des Schmerzensgeldes war die Annahme, dass der weitgehende Verlust der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit nicht durch die Zahlung von Geld ausgeglichen werden könne, sondern lediglich symbolische Funktion hätte.
  • Im Jahr 2009 lag die Schmerzensgeldhöhe für die gleiche Schädigung bei über 600.000 Euro. Die ehemalige Begründung des BGH wurde aufgegeben und der Schädigung des Opfers eine eigene Bewertungsgrundlage verschafft. Dadurch wird auch klargestellt, dass eine solch schwere Schädigung nicht dazu führen darf, dass der Anspruch gesenkt wird, "weil der Patient davon sowieso nichts mehr hat". Im Ergebnis hat nach der früheren Rechtsprechung eine besonders schwere Schädigung den Arzt sogar noch entlastet, was zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen führte.

3.3.2 Bemessungsgrundlage des Schmerzensgeldes bei ärztlichen Behandlungsfehlern

Zur Orientierung bezüglich der Höhe des Betrages dienen die Schmerzensgeldtabellen, die allerdings keine konkreten Vorgaben machen und die auch nicht das richterliche Ermessen nach oben oder unten begrenzen. Zur Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs sind alle Umstände des Schadensfalls einzubeziehen, wobei der Grund des Anspruchs unerheblich ist. Es ergeben sich also keine Unterschiede in der zu berechnende Schmerzensgeldhöhe in Anhängigkeit von der Haftung aus Vertrag oder Delikt. Faktoren, die sich auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken sind vor allem:

  • Art und Ausmaß der körperlichen Beeinträchtigung und des Eingriffs
  • Das schadensbedingte Leiden in Art und Umfang (Fußnote)
  • Der konkrete Einfluss der Beeinträchtigung auf den Geschädigten (Fußnote)
  • Der Grad des Verschuldens durch den Behandelnden
  • Mitverschulden durch den Patienten (Fußnote)

Zu beachten ist, dass sich die Würdigung der Umstände, aus denen sich das Schmerzensgeld bemisst, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bezieht und nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung.

3.3.3 Grenzen des Schmerzensgeldanspruchs

Schmerzensgeldansprüche sind durch verschiedene Kriterien begrenzt. So kann zum einen kein Anspruch auf ein Schmerzensgeld bestehen, wenn der Patient im Laufe der Behandlung verstirbt, ohne zu Bewusstsein gelangt zu sein und damit auch keine Einschränkungen wahrnehmen konnte. Es fehlt für den Anspruch also am erlittenen Schaden, da weder der Tod noch eine verringerte Lebenserwartung vom Schmerzensgeldanspruch umfasst sind (Fußnote) Die Ausgleichsfunktion liefe hierbei ins Leere. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Patient unmittelbar im Zusammenhang mit dem Eingriff verstirbt. Lebt er, wenn auch nur wenige Stunden, nach dem Eingriff weiter, ist dadurch bereits ein Schmerzensgeldanspruch begründet. Dieser Anspruch geht nach dem Tod auf die Erben über und kann durch diese geltend gemacht werden.
Zum anderen wird der Anspruch auf Schmerzensgeld dort begrenzt, wo der Patient nur unerhebliche Einschränkungen in seinem Wohlbefinden und seiner Gesundheit erleiden muss. Um solche "Bagatellschäden" handelt es sich, wenn der Patient nur sehr kurzzeitig und in völlig bedeutungslosem Maß eingeschränkt ist.

Beispiele Bagatellschäden

  • Ein oberflächliches, schmerzfreies Hämatom nach intramuskulärer Injektion
  • Eine, auch über mehrere Stunden andauernde, Einschränkung der Sprechmöglichkeit nach Leitungsanästhesie ohne Folgeschäden
  • Hierbei ist der Schaden des Patienten als so wenig einschränkend zu beurteilen, dass davon ausgegangen darf, dass dem Patienten diese so kurzfristige Einschränkung im Rahmen einer ärztlichen Behandlung durchaus zuzumuten ist.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arzthaftung - Nachweis und Durchsetzung von Ansprüchen bei ärztlichen Behandlungsfehlern“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Magdalena Mahrenholtz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-86-1.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Michael Kaiser, Rechtsanwalt

Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser berät und vertritt seit vielen Jahren Patienten, Ärzte und Gesundheitsorganisationen bei Rechtsfragen um Arztrecht/Medizinrecht.
Er vertritt Krankenversicherungsnehmer bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen gegen Krankenkassen. Insbesondere die Übernahme der Kosten für neue, vielversprechende, aber noch nicht anerkannte Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen liegt ihm am Herzen.
Er vertritt Patienten und Ärzte bei Arzthaftungsfällen. Er vertritt Ärzte beim Streit um die Vergütung bei Kassen- oder Privatpatienten und bearbeitet berufs- und standesrechtliche Fragestellungen, z.B. die Grenzen zulässiger Werbung, patent- und markenrechtliche Probleme oder Regressansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung.
Michael Kaiser begleitet Ärzte bei der Gründung und Auseinandersetzung von Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sowie bei der Praxisnachfolge.

Rechtsanwalt Michael Kaiser hat veröffentlicht:

  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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  • Arzthonorar und Kassenärztliche Vereinigung: Abrechnung und Regress
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