Europäisches Erbrecht – Teil 10 – Anwendbares Recht

8.1.2 Anwendbares Recht

Auch beim Testament stellt sich die Frage, welches materielle Erbrecht zur Beurteilung der wirksamen Errichtung angewendet wird. Die EuErbVO legt klar fest, dass das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes anzuwenden ist, allerdings zu dem Zeitpunkt, zu dem der Testator das Testament errichtet hat. Hat der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung in Schweden, zum Zeitpunkt seines Todes aber in Deutschland, muss das Testament trotzdem nach schwedischem Recht wirksam errichtet worden sein. Später kommt dann aber deutsches materielles Erbrecht zur Anwendung, da der Erblasser hier zum Todeszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Auch hier ist eine Rechtswahl zugunsten des Rechts des Heimatstaates möglich, die auch empfehlenswert ist. Soll das Testament später geändert werden, muss auch die Änderung nach dem gewählten oder dem zuvor ermittelten Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsstaates zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung wirksam sein.

Beispiel

Die deutsche Staatsangehörige Frau Karras ist nach langjähriger glücklicher Ehe seit kurzem verwitwet und sehnt sich nach einem Neuanfang. Da eine ihrer Töchter schon vor Jahren aus beruflichen Gründen in die Niederlande ausgewandert ist, tut Frau Karras es ihr im Jahr 2000 nach. Im Jahr 2014 errichtet sie während eines Besuches in ihrer alten Heimat Stuttgart bei ihrer zweiten Tochter ein nach deutschem Erbrecht wirksames Testament. 2020 verstirbt sie nach mehreren kleineren Schlaganfällen. Ist das Testament wirksam?

  • Es handelt sich um einen Erbfall mit Auslandsbezug. Zur Beurteilung der Wirksamkeit kommen das deutsche Recht und das niederländische Recht in Betracht. Im Jahr 2020 gilt die EuErbVO, nach der bei Testamenten das Recht des Staates angewendet wird, das angewendet werden würde, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments gestorben wäre. Wenn der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung gestorben wäre, wäre das Recht des Staates anwendbar, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments seinen dauernden Aufenthalt hatte. Frau Karras errichtete das Testament zwar in Stuttgart, im Jahr 2014 hatte sie ihren dauernden Aufenthalt aber bereits seit 14 Jahren in die Niederlande verlegt. Niederländisches Recht ist deshalb ausschlaggebend. Nach niederländischem Recht wurde das Testament wirksam errichtet. Es muss aber überlegt werden, ob es ein Problem darstellen könnte, dass Frau Karras das Testament bereits vor dem Inkrafttreten der ROM IV Verordnung (2015) im Jahr 2014 errichtet hat. Gem. Art. 83 I EuErbVO gilt die Verordnung für alle Erbfälle, die am Tag des Inkrafttretens der Verordnung oder später eingetreten sind. Frau Karras ist 2020 verstorben, so dass in dieser Hinsicht kein Problem besteht. Gem. Abs. 3 gelten für Verfügungen von Todes wegen aber andere Maßstäbe. Diese können fortgelten, auch wenn sie vor Inkrafttreten der Verordnung errichtet wurden, falls die Errichtung wirksam gewesen wäre, hätte sie nach Inkrafttreten stattgefunden. Hätte Frau Karras ihr Testament nach August 2015 errichtet, wäre es wie oben gezeigt nach niederländischem Recht wirksam. Die Testamentserrichtung vor Inkrafttreten der Verordnung war also auch wirksam und das Testament gilt fort. Das Testament der X ist also insgesamt wirksam.

8.1.3 Besonderheiten beim Berliner Testament

Das sog. Berliner Testament ist eine Besonderheit des deutschen Erbrechts, die sich hierzulande großer Beliebtheit erfreut. Bei diesem gemeinschaftlichen Testament setzen sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben ein. In vielen anderen EU-Erbrechtsordnungen, beispielsweise in Italien, Spanien oder Frankreich ist das Berliner Testament jedoch nicht anerkannt. Wenn der gewöhnliche Aufenthalt von zwei Ehepartnern mit deutscher Staatsangehörigkeit aber im Ausland liegt, kann dies zu Unklarheiten führen. Dann wäre nämlich beispielsweise italienisches Erbrecht anwendbar, das das Berliner Testament aber überhaupt nicht kennt. Momentan gibt es noch keine einheitliche Vorgehensweise der EU-Mitgliedstaaten für dieses Problem. Die Nichtanerkennung des Berliner Testaments hat für das deutsche Ehepaar in der Regel zur Folge, dass die gesetzliche Erbfolge angewendet wird und zwar nach dem Recht des Staates, der das Testament nicht anerkannt hat. Sucht man in der EuErbVO nach einem gemeinschaftlichen Testament, wird man auf Art. 3 I c. stoßen. Hier wird zwar darauf hingewiesen, dass ein Testament auch in Form eines „gemeinschaftlichen Testaments“ vorkommen kann, der Begriff deckt sich aber nicht mit der deutschen Vorstellung vom Berliner Testament. Die Unterschiede sollen im Folgenden zum Verständnis dargestellt werden.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass ein Berliner Testament nach deutschem Recht in manchen Situationen auch ein gemeinschaftliches Testament im Sinne des Art. 3 I c. EuErbVO darstellen kann. Wenn es aber beispielsweise in mehreren Urkunden errichtet wurde, stellt es kein gemeinschaftliches Testament im Sinne der EuErbVO dar, es könnte dann aber überlegt werden, ob zwei einzelne Testamente vorliegen, was im Einzelfall zu ermitteln ist. Deshalb ist es für Ehepaare mit deutscher Staatsangehörigkeit und einem nach deutschem Recht wirksamen Berliner Testament ratsam, im Testament eine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts vorzunehmen. Dafür muss kein neues Testament aufgesetzt werden, sondern es genügt ein wirksamer Nachtrag zum alten Berliner Testament.

Beispiel

Die Eheleute Herr und Frau Funke, die schon seit längerem ein Faible für Süditalien haben, lassen sich dort im Ruhestand nieder. Nachdem sie ihr ehemaliges Ferienhaus bezogen haben, in dem sie nun dauerhaft wohnen, möchten sie ihren Nachlass regeln und schreiben handschriftlich mit Hilfe eines Kugelschreibers auf einen Bogen Papier ihr „gemeinschaftliches Testament“, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Dass deutsches Recht angewendet werden soll, ordnen sie nicht an, da sie sich sicher sind, dass dies bei einem Ehepaar mit der deutschen Staatsangehörigkeit eine Selbstverständigkeit sei. Nach dem plötzlichen Ableben des Herrn Funke fragt sich die Tochter der Eheleute, ob sie ein gesetzliches Erbrecht geltend machen kann.

  • Es muss dafür überlegt werden, ob das Testament den gesetzlichen Vorgaben entspricht und damit wirksam ist. Zuerst muss ermittelt werden, ob sich die Wirksamkeit des Testaments nach deutschem oder nach italienischem Recht beurteilt. Nach der EuErbVO ist der gewöhnliche Aufenthalt relevant, so dass hier italienisches Recht angewendet wird. Die Eheleute Funke haben auch keine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts vorgenommen. Nach italienischem Recht gibt es die Möglichkeit, in einer Urkunde Verfügungen von Todes wegen mehrerer Personen festzuhalten grundsätzlich nicht. Es existiert nach italienischem Recht auch keine Ausnahme für Ehegatten. Das Testament wurde also bereits nicht wirksam errichtet. Die Tochter der Eheleute kann also ihr gesetzliches Erbrecht geltend machen und erhält nach italienischem Recht (da sie das einzige Kind der Familie Funke ist) die Hälfte des Nachlasses. Frau Funke erhält die andere Hälfte und zusätzlich ein Wohnrecht in dem von ihr und ihrem Gatten bewohnten Haus. Im Gesamtergebnis erhält Frau Funke also deutlich weniger als wenn das gemeinsame Testament wirksam gewesen wäre. Es macht hier übrigens auch keinen Unterschied, ob das Testament in Deutschland oder in Italien errichtet wurde. Wenn es in Deutschland errichtet worden wäre, wäre es zwar nach deutschem Recht zunächst wirksam errichtet worden, mangels Rechtswahl würde es im Todesfall aber trotzdem nach italienischem Recht beurteilt werden und würde nicht anerkannt werden, da das italienische Recht ja kein gemeinsames Testament kennt.

Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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