Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) als Rechtsform für mittelständische Unternehmen – Teil 22 – Verfahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer

6.3 Beschlüsse und Wahlen

Im Rahmen der Hauptversammlung werden Entscheidungen mithilfe von Beschlüssen und Wahlen gefällt. Beschlussfähig ist die Hauptversammlung, wenn ein einziger Aktionär anwesend ist. Beschlüsse bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegeben gültigen Stimmen. Von dem Erfordernis kann jedoch abgewichen werden. Bei einer Beschlussfassung zur Herbeiführung einer Satzungsänderung besteht die Besonderheit, dass in Art. 59 SE-VO vorausgesetzt wird, dass für satzungsändernde Mehrheiten zwei Drittel der abgegebenen Stimmen ausreichen, sofern die Rechtsvorschriften im jeweiligen Mitgliedsstaaten keine größere Mehrheit vorschreiben.

Im deutschen Aktienrecht wird hierzu gem. § 179 II AktG eine größere Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals gefordert (Dreiviertelkapitalmehrheit). Das nationale Mehrheitserfordernis kommt allerdings nur dann zum Tragen, wenn keine Erleichterung i.S.d. § 51 SEAG in der Satzung der SE vorgesehen ist. Sofern es um Abstimmungen über Personen handelt, entscheidet die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Beispiel
Die Satzung der T-SE ist bereits 5 Jahre alt. In der gängigen Praxis wurde festgestellt, dass die Regelungen über die Höchstzahl der Verwaltungsratsmitglieder nicht mehr dem aktuellen Standard entsprechen, da das Unternehmen enorm gewachsen ist. Aus diesem Grund soll nun eine Satzungsänderung angestrebt werden. In der Satzung ist für eine solche Entscheidung eine Erleichterung des Mehrheitserfordernisses angegeben. In der Hauptversammlung wird über das Änderungsvorhaben abgestimmt. 445 von 560 abgegebenen Stimmen fallen für die Satzungsänderung aus.

  • Bei der Satzungsänderung handelt es sich um eine Veränderung der Höchstzahl der Verwaltungsratsmitglieder. Die Satzung sieht keine Erleichterung vor, so dass gemäß der nationalen Regelung eine Dreiviertelmehrheit notwendig ist. Demnach müssen 420 der abgegebenen Stimmen für eine Satzungsänderung ausfallen. Da 445 Stimmen für eine Satzungsänderung gestimmt haben, ist die Satzungsänderung wirksam zustande gekommen.

6.4 Auskunftsrecht

Den Aktionären steht gem. Art. 53 SE-VO i.V.m. § 131 AktG ein Auskunftsrecht zu. Es handelt sich hier um ein erweitertes Auskunftsrecht, d.h. es bezieht sich auf alle Angelegenheiten der Gesellschaft. Ebenso beinhaltet der Anspruch Auskünfte über mit der Gesellschaft verbundene Unternehmen.[1] Verpflichteter ist bei einer SE mit dualistischem Leitungssystem das Leitungsorgan, bei einer SE mit monistischem Leitungssystem der geschäftsführende Direktor des Verwaltungsrates.

Beispiel
Von der Aktionärsgruppe "Supersauber", die 12 % des Grundkapitals der A-SE auf sich vereinigt, hat ein Vertreter in einem informellen Gespräch mit einem Mitarbeiter der A-SE erfahren, dass in der neu akquirierten Tochtergesellschaft in Italien korrupte Handlungen stattfinden. Angeblich würden bereits interne Ermittlungen laufen. Die Aktionärsgruppe "Supersauber" möchte hierzu von der Leitung der Gesellschaft Auskunft erhalten.

  • Da es sich um wichtige Informationen mit einem der Gesellschaft verbundenen Unternehmen handelt und den Aktionären der erweiterte Auskunftsanspruch zusteht, müssen die Aktionäre mit den wesentlichen Informationen durch die Leitung der Gesellschaft informiert werden.

7 Verfahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer

Bei Gründung einer SE ist ein sog. Verfahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer durchzuführen. Ziel ist es, die Interessen der Arbeitnehmer einer bereits mitbestimmten Gesellschaft auch im Rahmen der neuen Rechtsform der SE abzubilden. Eine Gesellschaft ist mitbestimmt, wenn aufgrund der personellen Größe der Gesellschaft die Mitwirkung der Arbeitnehmer mittels sog. Arbeitnehmervertreter an der Willensbildung des Unternehmens gesetzlich vorgeschrieben ist.

7.1 Mitbestimmungspflicht in Unternehmen

Sofern die deutsche SE der Mitbestimmung unterliegen, spielt die Mitbestimmung sowohl für monistisch geführte als auch für dualistisch geführte deutsche SE eine zentrale Rolle. Unterfallen alle beteiligten Gesellschaften bei Gründung nicht der Mitbestimmung, so ist auch in der künftigen SE keine Mitbestimmungspflicht notwendig.

Folgende Gesellschaften unterfallen in Deutschland der Mitbestimmung:

  • Sofern eine Gesellschaft mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt, wird der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Arbeitnehmern und zu zwei Dritteln aus Anteilseignern besetzt (DrittbG)
  • Sofern eine Gesellschaft mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, wird der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Arbeitnehmern und zur Hälfte aus Anteilseignern besetzt (MitbestG)

Sofern einer der beiden Fälle im Unternehmen eingetreten ist, ist die Mitbestimmung auch in der neuen SE zwingend. Es besteht für die Gesellschaft bzw. Gesellschaften die Möglichkeit, die Mitbestimmung im Rahmen des sog. Verhandlungsverfahrens frei auszuhandeln. Führen die Verhandlungen nicht zum Erfolg, greifen gesetzliche Auffangregelungen, die die Ausgestaltung der Mitbestimmung in der neuen SE regeln.

Beispiel
Die im Schwarzwald ansässige Trinkwasserproduzentin S-AG möchte mit dem französischen Getränkegroßhandel G S.A. sich zu einer gemeinsamen SE mit Sitz Paris firmieren. Die S-AG hat bereits mehr als 2100 Arbeitnehmer.

  • Die deutsche S-AG hat mehr als 2000 Mitarbeiter. Sie unterliegt damit der Mitbestimmung. Da bereits die deutsche AG der Mitbestimmung i.S.d. MitbestG unterliegt, müssen auch für die neue SE Verhandlungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer durchgeführt werden. Dies gilt selbst dann, wenn die neue SE ihren Sitz in Paris haben wird.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Europäische Aktiengesellschaft (SE) als Rechtsform für mittelständische Unternehmen“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, und Sarah Schwab, Wirtschaftsjuristin LL.M., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-60-1.


 

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Stand: Januar 2017


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Harald Brennecke, Rechtsanwalt

Portrait Harald-Brennecke

Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht.

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    Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.


Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:

  • "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
  • "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
  • "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
  • "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
  • "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:

  • Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
  • Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
  • Die Unternehmergesellschaft (UG)

Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.  
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
  • Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
  • Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
  • Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
  • Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters

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