Das Recht der Baugenehmigung – Teil 12 – Befreiung

1.1.3.2. Befreiung

Eine Befreiung kann nach § 31 Abs. 2 BauGB erfolgen. Die Befreiung stellt eine Durchbrechung des bauleitplanerischen Konzepts dar. Sie ist daher im Gegensatz zur Ausnahme nicht im Bebauungsplan vorgesehen. Sie ermöglicht daher eine Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans.

Nach § 31 Abs. 2 BauGB liegt eine abweichende Situation vor, wenn

  • Gründe des Allgemeinwohls die Befreiung erfordern (Nr. 1) oder
  • die Abweichung städtebaulich vertretbar ist (Nr. 2) oder
  • die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3)

Weitere Voraussetzung ist, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen vertretbar sein muss.

Die Entscheidung liegt im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde.

Der erste Fall des § 31 Abs. 2 BauGB verlangt, dass Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern. Das liegt vor, wenn ein Gemeininteresse, dass bei der Festsetzung des Bebauungsplans noch nicht oder nicht in seiner konkreten Stärke abschätzbar war, eine Art Randkorrektur der planerischen Festsetzung erfordert. Die Gemeinwohlgründe beschränken sich dabei nicht auf spezifisch bodenrechtliche Belange, sondern erfassen alles, was gemeinhin unter den öffentlichen Belangen oder den öffentlichen Interessen zu verstehen ist. Zu den das Wohl der Allgemeinheit ausfüllenden Belangen zählen zum Beispiel die Erforderlichkeit sozialer Einrichtungen (Altenheime, Kindergärten), kultureller Einrichtungen (Theater, Museen) oder auch sportlicher Einrichtungen (Sportplätze, Turnhallen).
Weiterhin muss die Befreiung aus Gründen des Allgemeinwohls erforderlich sein. Das liegt nach Sinn und Zweck der Vorschrift schon dann vor, „wenn es zur Wahrnehmung des jeweiligen Interesses vernünftigerweise geboten ist“. Dabei ist es nicht ausreichend, wenn die Befreiung dem Gemeinwohl nützlich ist. Andererseits ist es nicht notwendig, dass die Befreiung das einzig in Frage kommende Mittel ist, um das im jeweiligen Fall verfolgte öffentliche Interesse zu realisieren.

Weiterhin kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Abweichung städtebaulich vertretbar ist, § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB. Das ist anzunehmen, wenn die Befreiung mit der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung entsprechend den Anforderungen des § 1 V und VI BauGB vereinbar ist. Städtebaulich vertretbar ist alles, was in einem Bebauungsplan planbar wäre.

Darüber hinaus kann eine Befreiung von den Festsetzungen erteilt werden, wenn die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde, § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB. Eine solche Härte ist gegeben, wenn der Einzelfall in bodenrechtlicher Hinsicht Besonderheiten aufweist, die zur Folge hätten, dass das Grundstück bei Einhaltung des Bebauungsplans aufgrund seiner Lage, seiner Größe oder seines Zuschnitts nicht oder nur höchst begrenzt baulich genutzt werden könnte. Die Härte ist dann „offenbar nicht beabsichtigt“, wenn sie wegen der Besonderheiten der Grundstückssituation über das jedermann im Plangebiet durch die Festsetzungen des Bebauungsplans zugemutete Opfer hinausgeht.

Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB kommt nur in Betracht, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Durch die Befreiungsentscheidung darf also nicht in die Planungshoheit der Gemeinde eingegriffen werden. Die Grundzüge der Planung werden daher umso eher berührt, je stärker die Befreiung in das planerisch erfasste Interessengeflecht der Gemeinde eingreift. Die Befreiung muss daher ein Sonderfall bleiben und darf nicht zu einem heimlichen Planänderungsverfahren gedeihen.

Darüber hinaus muss die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Nach der Rechtsprechung gilt, dass das Vorhaben auch im Wege der Befreiung nicht zulassungsfähig ist, wenn es unter der Geltung des § 34 BauGB nicht genehmigt werden dürfte. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn ein Vorhaben bei Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht
genehmigt werden dürfte, weil es sich in seine Umgebung nicht einfügt.

Zudem sind die nachbarlichen Interessen zu berücksichtigen. Diese Würdigung hat unabhängig davon zu erfolgen, ob diese Interessen sich auf nachbarschützende Vorschriften stützen können oder nicht. Dabei ist entscheidend, ob die durch die Befreiung eintretenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was einem Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist.

Die diesbezügliche Entscheidung ist in das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde gestellt. Die Baugenehmigungsbehörde ist daher auch bei Vorliegen der Ausnahme- oder Befreiungsvoraussetzungen nicht verpflichtet, die Ausnahme zu erteilen oder von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu befreien. Im Einzelfall kann sich jedoch das Ermessen auf Null reduzieren, so dass daraus ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung folgt.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Recht der Baugenehmigung“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2015, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-35-9.


 

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Stand: Januar 2015


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